14. November 2013
Tage für Neue Musik – FOKUS USA
Zürich, 14. bis 17. November 2013

«Amerika, das ist die Entwicklung von der Barbarei zur Dekadenz ohne den Umweg über die Kultur». Zu dieser Beleidigung liess sich der französische Staatsmann Georges Clemenceau vor über hundert Jahren hinreissen.
Der Satz entlarvt auch heute noch viel von dem, was das spannungsvolle Verhältnis zwischen dem geschichtsträchtigen Europa und den jungen, vorwärtsstrebenden USA ausmacht: Bewunderung wird etwa der entfesselten Marktwirtschaft oder grosszügig unterstützten Forschungsprojekten zuteil, die dem Traum der unbegrenzten Möglichkeiten nahezukommen scheinen. Auf der anderen Seite steht ein schwacher Sozialstaat mit beträchtlicher Armut; das Gesetz des Stärkeren wird nur wenig abgefedert.
Ersetzt man das Wort Barbarei durch Pioniergeist schimmert aber jene Eigenschaft durch, um die wir Amerika manchmal beneiden können und die sich in unzähligen Erfindungen, Projekten und Biographien widerspiegelt.
Gerade in der Kultur tun sich – nebst all den invasiven populären Strömungen – bis heute immer wieder Freigeister hervor, die solch neue Ansätze präsentieren, aufgrund derer sich auch in Europa manches umkrempelt. Erwähnt seien neben John Cage, Morton Feldman und Steve Reich für die Musik auch Jackson Pollock, Barnett Newman, Andy Warhol oder Bruce Naumann für die Bildende Kunst.
Angesichts eines Riesenlands mit einem grossen Output vieler divergierender, teils fast eremitischer Einzelpositionen ist ein subjektives Panoptikum für die diesjährigen Tage für Neue Musik Zürich entstanden, welches, so hoffe ich, einige Meilensteine des 20. Jahrhunderts mit aktuellem Schaffen kontextualisieren wird, gerade unter Aussparung der drei erwähnten, weil allzu gegenwärtigen Komponisten.
Den weitesten geschichtlichen Bogen spannt Charles Ives‹ Vierte Sinfonie, die in ihrer spektakulären Collagetechnik aus einem romantischen Gestus heraus die Postmoderne vorwegzunehmen scheint. Alvin Lucier, Pionier und Poet der elektronischen Musik, schafft mit seinen Konzeptstücken Referenzpunkte für installative Ansätze eines Víctor Adán oder Sam Pluta, mit dessen – nur scheinbar – monotonen Klangflächen aber auch Parallelen zu den ostentativ wiederholten Klavierakkorden eines David Dramm, wo sich alteingesessene Vorstellungsmuster von U- und E-Musik raffiniert in Nichts auflösen.
Bedanken möchte ich mich als Intendant für die gute Zusammenarbeit mit den zahlreichen Koproduktionspartnern – allen voran der Expovina AG und der Zürichsee Schifffahrtsgesellschaft, dank derer das Festival mit Alvin Currans grosser Performance «Maritime Rites» im Zürcher Seebecken starten kann. Typisch amerikanisch…?
Viele Fragen dürfen wir an den Konzerteinführungen weiter erörtern. Sie werden auf der Diskussionsplattform kluuu.com live übertragen und als Audioarchiv zum Nachhören gespeichert.
Moritz Müllenbach, Intendant
Programm:
http://www.tfnm.ch/Programm/programmubersich.html
Kontakt:
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Kommentare von Daniel Leutenegger