24. Juni 2015
DER SCHWEIZER PRESSERAT WARNT VOR GEHEIMJUSTIZ
«Die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren ist ein wesentliches Element einer demokratisch kontrollierten Justiz. Doch abgekürzte Verfahren und die Masse an Strafbefehlen unterlaufen dieses Prinzip.», schreibt der Schweizer Presserat. Der Presserat sieht das Recht der Öffentlichkeit auf Information in Gefahr.
Der Schweizer
Presserat betont in einer neuen Stellungnahme das Öffentlichkeitsprinzip bei
Strafbefehlen und Gerichtsverfahren und lanciert einen Aufruf in Sachen freier
Gerichtsberichterstattung. Erstmals wendet er sich auch an die obersten
Verantwortlichen der Schweizer Justiz. Seine Stellungnahme ging an
Justizministerin Simonetta Sommaruga und an den Bundesgerichtspräsidenten, den
Bundesanwalt, die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren und an
die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz.
Das Prinzip, wonach Verfahren vor Gerichten öffentlich sind, gehört für den
Presserat zu den wichtigsten Errungenschaften des liberalen Rechtsstaats: «Denn Transparenz
ist zentral für das Vertrauen in eine unabhängige und faire Justiz.»
Justizreformen, die die Effizienz steigern sollen, führen laut Presserat jedoch
dazu, dass die strafrechtliche Erledigung von Fällen den Gerichten und damit
der Öffentlichkeit mehr und mehr entzogen wird. «Wenn Richter kaum noch Zeugen
befragen und Staatsanwälte Beschuldigte in Strafbefehlsverfahren nicht
einvernehmen, sind solche Fälle und Urteile schwer nachvollziehbar. Damit
Öffentlichkeit herrscht und die demokratische Kontrolle spielt, braucht es die
Medien.», schreibt der Presserat..
Der Presserat hält dazu fest: «Damit Medienschaffende ihren Auftrag als ‹Wachhunde der Demokratie› erfüllen können, sind sie angewiesen auf einfachen Zugang zu Anklageschriften, Urteilen, Einstellungsentscheiden und Strafbefehlen, und in begründeten Fällen ist ihnen auch Akteneinsicht zu gewähren.»
Darum stellt der Presserat Forderungen an die Justiz: «In Anbetracht der grossen Zahl von Urteilen und Strafbefehlen braucht es praktikable Regelungen wie längere und vereinheitlichte Fristen für den Zugang zu Urteilen und Strafbefehlen.»
Zentral sei zudem, dass JournalistInnen für Einsichtsgesuche nicht
unverhältnismässig zur Kasse gebeten werden. «Prohibitiv wirkende
Kostenauflagen sind abzuschaffen», schreibt das Selbstkontrollgremium der
Schweizer Medien. Gerichte und Staatsanwaltschaften sollten vielmehr möglichst
grosse Transparenz herstellen, zum Beispiel durch den einfachen Zugriff auf
diese Informationen im Internet. Das Bundesgericht und vorbildliche kantonale
Justizbehörden handhaben dies heute schon so.
Der Presserat kritisiert auch, dass manche Gerichte die Anforderungen für die Zulassung als Gerichtsreporter beliebig erhöhen. Die Akkreditierung dürfe jedoch nicht missbraucht werden, um Reporter unter Druck zu setzen.
Der
Presserat stellt zudem fest: «Inhaltliche Auflagen der Gerichte erschweren die
Arbeit der Gerichtsreporterinnen und -reporter. Sie sind daher äusserst
zurückhaltend anzuordnen.» Auch dem Antrag von Tätern, die Öffentlichkeit
auszuschliessen, sollten die Gerichte sehr zurückhaltend stattgeben. Den
JournalistInnen Bedingungen für ihre Berichterstattung zu diktieren,
beeinträchtige die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit.
Gleichzeitig nimmt das Ethikgremium aber auch die Medienschaffenden in die
Pflicht: «Die Medien tragen Verantwortung für eine faire
Gerichtsberichterstattung.» Dazu gehören die Unschuldsvermutung und die
Vorsicht beim Nennen von Namen, der Persönlichkeitsschutz und die
Berichterstattung über Freisprüche bei nachfolgenden Instanzen.
Der Presserat hatte zu seiner Meinungsbildung ein Hearing mit ExpertInnen
durchgeführt. Aus deren Statements ging klar hervor, dass bei Strafverfahren
und Strafbefehlen die Kontrolle der Öffentlichkeit in Gefahr ist. Mit seiner
Stellungnahme «Einschränkungen und andere Probleme bei der Berichterstattung
aus dem Justizwesen» reagiert der Presserat auf diese Entwicklung mit konkreten
Forderungen.
Abdruckspflicht
In einem Rückblick auf die Schwerpunkte der Tätigkeit des Presserats im Jahr
2014 hob Presseratspräsident Dominique von Burg gestern hervor, dass gewisse
Redaktionen im letzten Jahr die Publikation der negativen Stellungnahmen des
Presserats, die sie betreffen, leider immer noch verweigern, sei es auch nur in
einer Zusammenfassung. Diese moralische Pflicht ist in der Präambel der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»
festgeschrieben. Sie ist ein Zeichen des Respekts für das Publikum, das für
alle Medien selbstverständlich sein sollte. Das Präsidium des Presserats will,
zusammen mit dem Stiftungsrat, Wege finden, damit dieser Pflicht
nachgekommen wird.
Jahrheft 2015
An seiner Jahresmedienkonferenz hat der Presserat gestern Dienstag auch sein neues Jahrheft (http://www.presserat.ch/Documents/Jahrheft_2015.pdf) aufgelegt. Es enthält neben dem Jahresbericht mit den wichtigsten Leitfällen des letzten Jahres eine Zusammenfassung der oben vorgestellten Stellungnahme zur Justizberichterstattung.
prr
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Kommentare von Daniel Leutenegger