5. November 2013
PRIVATSPHäRE / IDENTIFIZIERUNG / ANHöRUNG
Zwei Stellungnahmen des Schweizer Presserates

Privatsphäre eines Politikers nicht verletzt
Schweizer Presserat 51/2013 (http://presserat.ch/_51_2013_htm)
Parteien: Mattenberger/Otero Mattenberger c. «24 Heures»
Thema: Identifizierung
Beschwerde abgewiesen
Zusammenfassung
Muss es sich ein Politiker gefallen lassen, dass eine Zeitung identifizierend über die gerichtliche Auseinandersetzung seiner Ehefrau mit einer Hausangestellten berichtet?
Ja, entscheidet der Presserat, sofern der Medienbericht im Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit steht.
«24 Heures» berichtete in mehreren Artikeln über eine Hausangestellte, die der Ehefrau eines SP-Politikers vor Gericht vorwarf, ihr Lohn vorenthalten, sie unter dem gesetzlichen Minimum bezahlt und sie missbräuchlich entlassen zu haben. Der angegriffene Politiker und seine Frau beschwerten sich daraufhin beim Presserat, ihre Privatsphäre sei verletzt.
Für den Presserat besteht im konkreten Fall ein den Schutz der Privatsphäre überwiegendes Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung. Auch wenn die Hausangestellte formal von der Ehefrau und deren Apotheke angestellt war, sei der Politiker faktisch trotzdem ebenfalls Arbeitgeber gewesen. Und als Anwalt mit Spezialgebiet Arbeitsrecht sowie als Parlamentarier einer Partei, die kürzlich eine Kampagne zur Besserstellung der Hausangestellten lanciert hat, müsse er es sich gefallen lassen, dass sein privates Verhalten in diesem Zusammenhang öffentlich thematisiert wird.
Betroffene vor sich selber schützen
Schweizer Presserat 52/2013 (http://presserat.ch/_52_2013_htm)
Parteien: Département de l’instruction publique genevois c. «Vigousse»
Thema: Anhörung, Identifizierung
Beschwerde teilweise gutgeheissen
Zusammenfassung
Darf eine satirische Zeitschrift Missstände in einem öffentlichen Amt anprangern? Selbstverständlich, sagt der Presserat. Dies entbindet die Redaktion aber nicht davon, die Verantwortlichen des Amts vor der Veröffentlichung schwerer Vorwürfe anzuhören. Zudem erinnert er daran, dass Medien Betroffene unter Umständen vor sich selber schützen und deshalb trotz deren Einwilligung auf eine identifizierende Berichterstattung verzichten sollten.
«Vigousse» berichtete in mehreren Artikeln über Missstände in der Abteilung Jugendschutz des Genfer Jugendamts. Die Genfer Erziehungsdirektion beschwerte sich daraufhin beim Presserat über falsche Unterstellungen, die Vermischung von Fakten und Kommentar, die unterlassene Anhörung zu schweren Vorwürfen sowie eine unzulässige Nennung des Namens einer betroffenen Familie.
Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut. Trotz einiger Ungenauigkeiten sei eine Verletzung der Wahrheitspflicht nicht erstellt. Und die Leserschaft von «Vigousse» sei angesichts des sarkastischen Tonfalls in der Lage, den kommentierenden Charakter der Berichte zu erkennen.
Demgegenüber wäre die Zeitschrift verpflichtet gewesen, die Verantwortlichen der kritisierten Behörde vor der Veröffentlichung beispielsweise mit den Vorwurf zu konfrontieren, eine grosse Zahl von Kindern missbräuchlich platziert zu haben und ausserhalb des Gesetzes zu agieren.
Zudem wäre es unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der betroffenen Kinder angebracht gewesen, trotz des Einverständnisses der Eltern auf eine identifizierende Berichterstattung einer von den kritisierten Massnahmen betroffenen Familie zu verzichten.
ots
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Kommentare von Daniel Leutenegger