25. Januar 2012
Rangliste der Pressefreiheit 2011: Schweiz nach Luxemburg und vor Kapverden auf Rang 8
Die «Reporter ohne Grenzen ROG»-Rangliste der Pressefreiheit 2011 vergleicht die Situation der Medien in 179 Staaten und Regionen vom 1. Dezember 2010 bis zum 30. November 2011.
Bild: ROG
Wie eng Demokratie und Medienfreiheit zusammenhängen, zeigt die Rangliste
der Pressefreiheit, die «Reporter ohne Grenzen» (ROG) in diesem Jahr zum 10. Mal
herausgibt. Die Liste spiegelt die turbulenten Ereignisse des vergangenen
Jahres wider, die die Innenpolitik einzelner Staaten zum Teil gravierend
veränderten. Weltweit berichteten Journalisten über Aufstände, autoritäre
Regime antworteten mit systematischer Gewalt. «Es sollten nicht nur Proteste im
Keim erstickt, sondern auch Berichte darüber unterdrückt werden», so
ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske.
In vielen Ländern wurden 2011 deutlich mehr Journalisten verhaftet, entführt oder geschlagen als in den vergangenen Jahren. Für totalitäre Regime wurde die Kontrolle der Medien zur Überlebensfrage. Ein Schwerpunkt der Gewalt waren die Strassenkämpfe in den arabischen Ländern. Immer stärker rückten dort auch Blogger und Bürgerjournalisten ins Visier der Behörden. Sie füllten Lücken, wo konventionelle Medien zensiert und ausländische Berichterstatter nicht zugelassen wurden. Die weltweiten Unruhen nur negativ zu bewerten, greift nach Ansicht von «Reporter ohne Grenzen» jedoch zu kurz: «Wenn Auseinandersetzungen langfristig zu mehr Demokratie führen, kann das auch positive Folgen für die Pressefreiheit haben», so Rediske.
Die ROG-Rangliste der Pressefreiheit 2011 vergleicht die Situation der Medien in 179 Staaten und Regionen vom 1. Dezember 2010 bis zum 30. November 2011.
AUFSTÄNDE IN DEN ARABISCHEN LÄNDERN
Zu welch unterschiedlichen Ergebnissen die arabischen Aufstände geführt
haben, zeigen exemplarisch Tunesien und Bahrein,
die auf der Rangliste weit voneinander entfernt stehen. Tunesien, wo im Januar
Diktator Ben Ali gestürzt wurde, verbesserte sich um 30 Positionen auf Platz
134, obwohl auch das neue Regime eine unabhängige Presse nicht bedingungslos
akzeptiert. Bahrein dagegen, wo friedliche Proteste brutal niedergeschlagen und
zahlreiche Menschenrechtler verhaftet wurden, fiel um 29 Positionen auf Platz
173.
Während Libyen (Platz 154) sich von Muammar al-Gaddafi
befreite, erlag Jemen (Platz 171) der Gewalt zwischen
Anhängern und Gegnern von Präsident Ali Saleh. Die Zukunft beider Länder ist
ebenso ungewiss wie die Rolle, die Journalisten dort im weiteren politischen
Leben spielen werden. Das Gleiche gilt für Ägypten, das um 39
Positionen auf Platz 166 fiel. Der seit Februar regierende Militärrat
verschärfte die bestehenden Notstandsgesetze, bei Protesten im Februar sowie im
November und Dezember gingen Sicherheitskräfte mit unverhältnismässiger Gewalt
gegen Journalisten vor. Syrien, wo Zensur, Überwachung und willkürliche Gewalt
die Arbeit von Journalisten nahezu unmöglich machen, fiel auf Platz 176.
ANHALTENDE GEWALT GEGEN JOURNALISTEN
In vielen Ländern scheint eine Kultur der Gewalt gegen die Medien inzwischen
tief verwurzelt zu sein. Solange die Verantwortlichen dafür nicht zur
Rechenschaft gezogen werden, wird sich daran wenig ändern. Dies gilt für Mexiko (Platz
149) und Honduras (Platz 135) genauso wie für Pakistan (Platz
151), wo im vergangenen Jahr zum zweiten Mal in Folge die meisten Journalisten
weltweit getötet wurden. In Somalia (Platz 164) ist die
Situation im seit 20 Jahren währenden Bürgerkrieg für Journalisten denkbar
schwierig. Auch im Iran (Platz 175) werden Medienschaffende
seit Jahren verfolgt und unterdrückt. Irak fiel wegen mehrerer
Mordfälle um 22 Positionen auf Platz 152.
EUROPA
Die Gegensätze zwischen den europäischen Staaten haben sich 2011 weiter
verschärft.
Während Finnland, Norwegen und die Niederlande seit Jahren vorderste Plätze in der Rangliste einnehmen, fielen Bulgarien (Platz 80) und Italien (Platz 61) deutlich zurück und gehören mit Griechenland (Platz 70) zu den Schlusslichtern der EU. In Bulgarien wurden Journalisten, die über Korruption und organisierte Kriminalität berichteten, bedroht und gezielt angegriffen. In Griechenland arbeiteten Reporter und Fotografen während der Wirtschaftsproteste teilweise unter kriegsähnlichen Bedingungen. Deutschland (Platz 16) nimmt weiterhin eine stabile Mittelposition innerhalb der EU ein. Schwierig sind hier vor allem der Zugang zu Behördeninformationen sowie der Schutz von Quellen und Informanten. Ungarn rutschte von Platz 23 auf Platz 40 ab, weil die Regierung durch neue Gesetze übermässigen Einfluss auf die Arbeit der Medien nimmt. Dass andere EU-Staaten dies lange Zeit kaum kritisierten, hat die Glaubwürdigkeit der Union als Vorbild in Sachen Pressefreiheit beschädigt.
Grossbritannien verschlechterte sich
vor allem wegen der Abhöraffäre bei News of the World von Platz 19 auf 28. In
der Türkei wurden Journalisten durch Überwachung und
Verhaftungen unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung massiv eingeschüchtert,
wodurch das Land auf Platz 148 abrutschte.
Der am schlechtesten platzierte Staat in Osteuropa ist Belarus (Platz
168), wo Alexander Lukaschenko nach der brutalen Niederschlagung von
Demonstrationen im Dezember 2010 über 100 Blogger und Journalisten verhaften
liess. Auch in Aserbaidschan (Platz 162), das 2012 Gastgeber
des Eurovision Song Contest ist, verschärfte die Staatsmacht nach Strassenprotesten
im Frühjahr die Überwachung der Medien und des Internets. Präsident Ilcham
Alijew gehört wie auch Lukaschenko zu den Feinden der Pressefreiheit.
AMERIKA
Die USA fielen um 27 Positionen auf Platz 47, weil die
Polizei die Berichterstattung über die Occupy-Proteste behinderte. Innerhalb
von zwei Monaten wurden mehr als 25 Fälle bekannt, in denen Journalisten
verhaftet oder geschlagen wurden. Chile, wo die Polizei mit Gewalt
gegen protestierende Studenten vorging, fiel um 47 Positionen auf Platz 80.
Weitere Absteiger sind Brasilien (Platz 99), Paraguay (Platz
80) und Peru (Platz 115). Journalisten, die über Korruption,
organisierte Kriminalität oder Umweltthemen berichten, riskieren dort nicht
selten ihr Leben.
ASIEN/PAZIFIK
In China (Platz 174) hat sich die Situation 2011
verschlechtert. Nach den Protesten in der arabischen Welt hat das Regime die
Überwachung der Medien, insbesondere im Internet, verstärkt. In keinem anderen
Land sitzen mehr Journalisten und Blogger im Gefängnis. Auch Hongkong fiel
stark ab: von Platz 34 auf Platz 54. In Vietnam (Platz 172)
gerieten kritische Berichterstatter ebenfalls immer stärker unter Druck und
wurden zum Teil zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Birma hingegen
konnte seine Position (Platz 169) nach den Reformen der vergangenen Monate
etwas verbessern, wenn es auch nach wie vor unter der autoritären Regierung
leidet.
AFRIKA
Süd-Sudan ging nach seiner Unabhängigkeitserklärung im Juli 2011
als neuer Staat in die Rangliste ein. Als ehemalige Provinz eines der am
schlechtesten platzierten Staaten (Sudan: Platz 170) erreichte das Land auf
Anhieb einen bemerkenswerten 111. Platz. Niger verbesserte
seinen Platz (29) erheblich, während andere ihre Position merklich
verschlechterten: Uganda, wo Sicherheitskräfte nach den Wahlen im
Februar rigoros gegen Oppositionelle und unabhängige Medien vorgingen, fiel um
43 Positionen auf Platz 139. Die Elfenbeinküste fiel nach
einem blutigen Machtwechsel, unter dem auch die Medien stark litten, um 41
Positionen auf Platz 159.
DIE SCHLUSSLICHTER
Eritrea, Turkmenistan und Nordkorea nehmen
auch in diesem Jahr wieder die hintersten Plätze auf der Rangliste der
Pressefreiheit ein: Diktaturen, die keinerlei bürgerliche Freiheiten zulassen.
Ihnen folgen mit Syrien, Iran und China Länder,
in denen das Regime nicht nur gegen Journalisten mit brutaler Gewalt vorgeht.
Zu den repressivsten Staaten gehörten 2011 auch Bahrein (gefallen
von Platz 144 auf 173) und Vietnam (gefallen von Platz 165 auf
172). Deutlich verschlechtert hat sich die Situation zudem in Belarus (Platz
168, 2010: 154) und in vielen afrikanischen Staaten, darunter Dschibuti, Malawi und Uganda.
DIE SPITZENREITER
An der Spitze der Rangliste stehen nach wie vor europäische Länder wie Finnland, Norwegen und die Niederlande. Sie zeigen einmal mehr, wie eng Demokratie und Pressefreiheit zusammenhängen und dass Demokratie unabhängige Medien braucht. Unter die ersten drei ist in diesem Jahr Estland aufgestiegen (2010: Platz 9). Mit Namibia und den Kapverden sind zudem erstmals zwei afrikanische Länder unter den ersten 20. Die grösste Verbesserung innerhalb der Rangliste erreichte Niger, wo sich die innenpolitische Lage nach den Wahlen im Januar stabilisierte. Das Land stieg um 75 Positionen auf Platz 29.
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Kommentare von Daniel Leutenegger