21. Januar 2016
«Tele M1 berichtete einseitig und inkorrekt»
Zwei aktuelle Stellungnahmen des Schweizer Presserats
- Schweizer Presserat: Ein Recherchegespräch darf gekürzt werden, wenn damit der Sinn nicht verändert wird; Stellungnahme 50/2015 (www.presserat.ch/_50_2015.htm)
Dokument zum Download:
Parteien: Rybolovlev c. «Le Temps»
Thema: Wahrheitspflicht / Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen / Recherchegespräch
Beschwerde abgewiesen
Zusammenfassung:
Während seiner Recherchen muss ein Journalist darauf achten, die zusammengetragenen Meinungen nicht zu entstellen. Im Rahmen seiner redaktionellen Freiheit ist er jedoch frei, diese zu kürzen. Auch kann er Elemente von Informationen weglassen, wenn diese für das Verständnis des Lesers nicht nötig sind.
Dmitryi Rybolovlev reichte Beschwerde gegen zwei von «Le Temps» veröffentlichte Artikel ein, welche sich dem Konflikt zwischen ihm und Yves Bouvier, dem Chef von «Natural le Coultre» sowie der juristischen Stellung ausländischer Trusts in der Schweiz widmeten. Rybolovlevs Anwältin war der Ansicht, ihre Aussagen seien nicht korrekt wiedergegeben worden. Zudem habe die Zeitung ihre Leser getäuscht, indem sie die «Interessenbindungen» der zitierten Rechtsprofessoren verschwiegen habe.
Der Presserat ist der Ansicht, dass der Journalist die medienethischen Grundsätze eingehalten hat. Die Aussagen der Anwältin, welche er nicht wieder gegeben hatte, beantworteten die gestellten Fragen nicht und die befragten Professoren gaben ihre Meinung als Experten und nicht als Konfliktparteien wieder.
- Schweizer Presserat: Tele M1 berichtete einseitig und inkorrekt; Stellungnahme 51/2015 (www.presserat.ch/_51_2015.htm)
Dokument zum Download:
51-2015-solothurnerspitaeleragc-telem1undsolothurnerzeitung-stn.pdf
Parteien: Solothurner Spitäler AG c. Tele M1 und «Solothurner Zeitung»
Thema: Wahrheitspflicht / Unterschlagen wichtiger Informationen / Anhörung bei schweren Vorwürfen
Beschwerde gutgeheissen
Zusammenfassung:
Der Schweizer Presserat hat eine Beschwerde der Solothurner Spitäler AG gegen den Regionalfernsehsender Tele M1 und die «Solothurner Zeitung» gutgeheissen.
Anfang 2015 hatte Tele M1 über den Fall einer jungen Frau berichtet, welche mit starken Bauchschmerzen die Notfallstation des Spitals Solothurn aufgesucht hatte. Noch während den Untersuchungen liess sie sich in ein Berner Spital verlegen, wo sie in der gleichen Nacht aufgrund eines akuten Darmverschlusses operiert wurde.
Im Fernsehbeitrag wurde der Vorwurf erhoben, dass die untersuchenden Ärzte in Solothurn den Gesundheitszustand der Patientin nicht ernst nahmen und sie daher hätte sterben können. Der kritisierte Fernsehbeitrag bestand weitgehend aus Interviews mit der Patientin und ihrer Mutter. Tele M1 ist deren Darstellung umfassend und ohne weitere Überprüfung gefolgt.
Der Presserat sieht in dieser Art der Berichterstattung eine eklatante Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht, da der Beitrag allein auf die Aussagen der Patientin abstellte und sie ungeprüft übernahm. Die Wahrheitssuche setzt aber die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten und deren Überprüfung voraus. Angesichts der Schwere der Vorwürfe – ärztlicher Fehler mit möglicher Todesfolge – war zudem eine Anhörung des Spitals zwingend. Tele M1 hat im Beitrag jedoch den Eindruck erweckt, die Verantwortlichen wollten keine Stellung nehmen und versteckten sich hinter dem Arztgeheimnis. Das Spital durfte sich jedoch zum Zeitpunkt der Ausstrahlung gar nicht zum Fall äussern, da die Patientin es noch nicht von der Schweigepflicht entbunden hatte. Tele M1 hätte darauf hinweisen müssen, weshalb eine solche Stellungnahme im Beitrag fehlt oder mit der Ausstrahlung des Beitrags zuwarten.
Die «Solothurner Zeitung» rügt der Presserat dafür, dass sie den Bericht von Tele M1 ohne ergänzende Recherchen übernommen hat und die Gründe für das Fehlen einer Stellungnahme des Spitals ebenfalls nicht transparent machte.
ots
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Kommentare von Daniel Leutenegger