31. Oktober 2015
WAHRHEITSPFLICHT – ANHÖRUNGSPFLICHT – UNSCHULDSVERMUTUNG – FAIRNESSGEBOT – PRIVATSPHÄRE – NAMENSNENNUNG – MENSCHENWÜRDE
Drei neue Stellungnahmen des Schweizer Presserates
«finews» durfte Rudolf Elmer als Datendieb und Verräter bezeichnen; Stellungnahme 40/2015 (www.presserat.ch/_40_2015.htm)
Dokument zum Download:
40-2015elmerc-finews-ch-stn.pdf – PDF – 97 kB
Parteien: Rudolf Elmer c. «finews.ch»
Thema: Wahrheitspflicht / Anhören bei schweren Vorwürfen / Unschuldsvermutung / Anonyme Anschuldigungen
Beschwerde abgewiesen
Zusammenfassung:
«finews.ch» durfte Elmer als Datendieb und Verräter bezeichnen
Der Schweizer Presserat hat eine weitere Beschwerde von Rudolf Elmer abgewiesen. Elmer hatte moniert, dass er in einem Bericht des Internetportals «finews.ch» zu unrecht als «Verräter» und «Datendieb» bezeichnet worden sei. Dazu machte er eine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» geltend. Beide Begriffe stellten weitere schwere Vorwürfe dar, die zwingend die Einholung einer Stellungnahme erfordert hätten. Weil der Artikel nicht gezeichnet sei, sah Elmer auch die Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt. Dieser verlangt, dass anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen sind.
Schon in der Stellungnahme 45/2008 hatte der Presserat im Zusammenhang mit dem Fall Elmer festgestellt, dass das Wort «Datenklau» in Ordnung war, denn es sei nicht Sache des Presserates, die gegenüber dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit fraglichen Daten von Kunden der Cayman-Niederlassung der Bank Bär erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe juristisch zu bewerten. Elmer hatte Kundendaten der Bank an die Internetplattform Wikileaks geliefert.
In Stellungnahme 29/2012 hatte der Presserat weiter die Begriffe «Dieb» und «Erpresser» geschützt. Vorliegend wurde «Datendieb» aus Sicht des Presserates ebenfalls umgangssprachlich verwendet. Zudem präzisiert «finews.ch», dass Elmer sich selbst als Whistleblower sieht. Darum sei die Verwendung des Begriffs nicht zu beanstanden. Dasselbe gilt für den Vorwurf «Verräter», wobei es sich dabei um keinen neuen Vorwurf handelt. «finews.ch» durfte ihn verwenden, ohne den Beschwerdeführer anzuhören.
«Watson» berichtete korrekt über Shitstorm; Stellungnahme 41/2015 (www.presserat.ch/_41_2015.htm)
Dokument zum Download:
41-2015-debrunner-watson-stn.pdf – PDF – 104 kB
Parteien: Debrunner c. «watson.ch»
Thema: Wahrheitspflicht / Fairnessgebot / Privatsphäre / Menschenwürde
Beschwerde abgewiesen
Zusammenfassung:
«Watson» berichtete korrekt über Shitstorm
Presserat billigt Artikel über Twitterin, die ihren Account löschte
Nachdem eine Twitter-Userin ihren Account gelöscht und rechtliche Schritte angekündigt hatte, weil ihr echter Name in Twitter veröffentlicht worden war, publizierte das Internet-Portal «watson.ch» einen Bericht mit dem Titel «Userin weggemobbt: Die Twitter-Schweiz hat den grössten Shitstorm ihrer Geschichte». Hunderte hätten ihre Solidarität mit der Twitter-Userin bekundet und sich gegen Cybermobbing ausgesprochen. Auslöser für das Löschen des Twitter-Accounts sei offenbar ein Tweet eines Journalisten gewesen, der den bürgerlichen Namen der Userin offenbart habe.
Gegen diesen Bericht wehrte sich die Userin mit einer Beschwerde vor dem Schweizer Presserat. Der Artikel nehme Bezug auf die laufende Strafuntersuchung, verkenne jedoch, dass sie selbst wegen des laufenden Verfahrens keine Angaben habe machen können und respektiere so ihre Privatsphäre nicht. Zudem unterschlage «watson» die wichtigen Dokumente, Bilder, Töne, Quellen des Stalkings und Cybermobbings.
Für den Presserat ist es auch bei einem laufenden Strafverfahren nicht zu beanstanden, wenn darauf hingewiesen wird, dass ein solches Verfahren eingeleitet worden sei. Die Userin habe gegenüber «watson» ausdrücklich darauf verzichtet, ihre eigene Sachdarstellung beizutragen. In Ordnung ist für den Presserat auch, dass sich «watson» bei der Informationsbeschaffung einerseits der Aussagen des twitternden Journalisten, andererseits des Posts der Userin in Facebook bediente. Die Userin hatte in Facebook selbst über die Löschung ihres Twitter-Accounts und die Gründe hierfür berichtet, weshalb der Presserat auch keine Verletzung ihrer Privatsphäre erkannte. Zudem war für ihn mangels genauerer Bezeichnung auch nicht erkennbar, worin die unterschlagenen Dokumente bestanden haben sollen. Der Presserat wies die Beschwerde ab.
Germanwings-Copilot durfte benannt werden; Stellungnahme 42/2015 (www.presserat.ch/_42_2015.htm)
Dokument zum Download:
42-2015-x-c-tages-anzeiger-nzzas.pdf – PDF – 106 kB
Parteien: X. c. «Tages-Anzeiger» / «NZZ am Sonntag»
Thema: Unschuldsvermutung / Namensnennung
Beschwerde abgewiesen
Zusammenfassung:
Germanwings-Copilot durfte benannt werden
Im März 2015 stürzte ein Flugzeug der Germanwings in den französischen Alpen ab. Das Interesse am Absturz und am Co-Piloten, der 149 Menschen mit sich in den Tod gerissen hatte, war gross. Eine Leserin beschwerte sich beim Schweizer Presserat, weil Medien den Namen des Co-Piloten nannten. Der Presserat weist die Beschwerde ab.
Die Tat sei in ihrem Ausmass und ihrer Einzigartigkeit von überwiegendem öffentlichem Interesse, urteilt der Schweizer Presserat. Der Täter habe sich zu einer öffentlichen Person gemacht. In diesem Fall sei das Recht der Öffentlichkeit auf Information stärker als der Schutz der Privatsphäre des Täters. Der Presserat weist deshalb eine Beschwerde ab, die sich gegen einen Artikel im «Tages-Anzeiger» und einen in der «NZZ am Sonntag» richtete.
Für den Presserat kann es bei einer aussergewöhnlich schweren Straftat gerechtfertigt sein, den Namen des Täters zu nennen. Die Redaktionen haben aber in jedem einzelnen Fall genau abzuwägen, ob die Namensnennung medienethisch zulässig ist. Dabei sollen sie auch die Privatsphäre der Angehörigen des Täters berücksichtigen. Selbst wenn andere Medien den Namen verbreiten oder sogar die Untersuchungsbehörden den Namen nennen, ist das kein Freibrief, dass alle Medien den Namen unbesehen publizieren dürfen.
Auch Unschuldsvermutung nicht verletzt
Die Beschwerde beanstandete zusätzlich, «Tages-Anzeiger» und «NZZ am Sonntag» hätten im Fall des Germanwings-Absturzes die Unschuldsvermutung verletzt. Der Presserat weist auch das ab. Beide Artikel erschienen wenige Tage nach dem Absturz. Beide relativieren schon in den ersten Zeilen die Täterschaft. So heisst es in der «NZZ am Sonntag», der Co-Pilot habe das Flugzeug «wahrscheinlich absichtlich» zum Absturz gebracht. Und der «Tages-Anzeiger» zitiert den Staatsanwalt, der die Vermutung äussert, der Co-Pilot habe mit Absicht gehandelt. Für Leserinnen und Leser ist in beiden Berichten rasch klar, dass die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind. Damit haben beide Zeitungen die Unschuldsvermutung nicht verletzt.
ots
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Kommentare von Daniel Leutenegger