5. Dezember 2008
COMPUTERSPIELE FüR DIE NACHWELT
Unter dem Titel «40 Jahre Games-Kultur: Ist die Branche erwachsen geworden?» fand im November 2008 das erste Round-Table-Gespräch zur Vergänglichkeit des Kulturguts «Computerspiele» auf der ITEC08 in Darmstadt statt.
Im Rahmen dieses prominent besetzten IKT-Kongresses, den das Land Hessen gemeinsam mit der Europäischen Kommission ausgerichtet hat, fand der erste Round Table zu der für die Branche bedeutsamen Frage statt, wie Computerspiele für die Nachwelt bewahrt werden können. Die Teilnehmer der Gesprächsrunde waren:
Lutz Anderie, Vice President Continental Europe ATARI
Andreas Lange, Deutsches Computerspiele Museum Berlin
Arjan Dhupia, Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware
Boris Triebel, Geschäftsführer rocketscience games
Reinhard Altenhöner, Leiter IT der Deutschen Nationalbibliothek
Moderiert wurde die Veranstaltung vom Branchenexperten Jan Wagner, Mitbegründer der Cliffhanger Productions und Gründungsmitglied der Standortinitiative gamesarea Frankfurt/RheinMain.
Grosse Zukunft, aber keine Vergangenheit
Nachdem Andreas Lange, Leiter des Deutschen Computerspiele Museums, die Frage beantwortete, wie es dem kommerziellen Produkt der Computergames gelingen konnte, gleichberechtigt neben Büchern und Theaterstücken in die Reihe der bedeutenden Kulturgüter aufgenommen zu werden, gaben Arjan Dhupia vom BIU sowie Lutz Anderie, ATARI, Auskunft über die eindrucksvolle Entwicklung des deutschen Games-Marktes: Das am stärksten wachsende Segment der Medienwirtschaft macht heute mehr Umsatz als die Filmindustrie an den Kinokassen. Deutschland ist mit fast 1,4 Mrd. Euro Umsatz (2007) der zweitwichtigste Markt für Unterhaltungssoftware in Europa. Hierzulande sind etwa 5.000 Personen in der deutschen Games-Branche tätig.
Doch trotz dieser erfreulichen Bilanz schafft der Boom auch ein Problem: Computerspiele sind, wie alle digitalen Daten, vergänglich. Es existiert weltweit bis heute keine geeignete Strategie, wie ältere Computerspiele verlässlich für die Nachwelt bewahrt werden können. Reinhard Altenhöner, Deutsche Nationalbibliothek, verwies in diesem Zusammenhang auf die Unmöglichkeit, insbesondere dynamische Welten, wie sie in Spielen wie «World of Warcraft» oder «Spore» existierten, zu archivieren.
«Es gibt einfach Dinge, die sich dem Bewahrungswunsch entziehen. Um der Nachwelt einen ungefähren Eindruck zu hinterlassen, wie sich dieses oder jenes Spiel dargestellt hat, bleibt wahrscheinlich nur die Möglichkeit, Sequenzen daraus abzufilmen».
Andreas Lange zählte einige Spiele auf, die mangels geeigneter Bewahrungsstrategien unwiederbringlich verloren seien. Und Lutz Anderie räumte ein, dass selbst ATARI, die mit dem Spiel «Pong» einen ersten Meilenstein des Genres gesetzt haben, kein vollständiges Archiv aller eigenen Produktionen mehr aufweisen könne.
Sind Computer-Spiele vom Aussterben bedroht?
Anhand der Ausstellung «replayed», die das Kompetenznetzwerk digitale Langzeitarchivierung nestor in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Computerspiele Museum parallel zur Veranstaltung eingerichtet hatte, erläuterte Andreas Lange Möglichkeiten der Bewahrung von Computerspielen aus der Anfangszeit.
«Wir können heute mit Emulatoren tatsächlich sehr genaue Abbilder dessen schaffen, was man Anfang der 1970er Jahre gespielt hat», so Lange. «Doch je genauer wir uns dem Original hinsichtlich des Look&Feel annähern wollen, umso schwieriger wird es. Eine nahezu ideale Bewahrung des Originals findet man vor, wenn die Emulation auf einem neueren Rechnermodell läuft, das sich jedoch der Schnittstellen zur ursprünglichen Spielemechanik bedienen kann. Dies funktioniert in der Regel jedoch nur bei alten, einfachen Spielen».
Reinhard Altenhöner erneuerte an dieser Stelle das Angebot des deutschen Kompetenznetzwerks digitale Langzeitarchivierung nestor zur Zusammenarbeit mit der Games-Branche, um gemeinsam an geeigneten Lösungen für die zukünftige Bewahrung auch komplexerer Spiele zu arbeiten.
Kooperationen als Ausweg
Bei der Frage nach der Zuständigkeit für die Aufgaben, die die systematische Bewahrung des digitalen Kulturguts künftig stellt, waren sich die Verteter von Verbänden, Entwicklern, Publisher und Kultureinrichtungen dann auch einig: Jeder sollte in seinem Feld dazu beitragen, dass das Wissen um die Entstehung von Computerspielen erhalten bleibt.
«Die Kulturinstitutionen müssen weiter Ihren Archivierungsauftrag erfüllen, die Entwickler und Publisher müssen dazu beitragen, dass ihr Know-how der Spieleentwicklung nicht untergeht, und die Verbände sind aufgefordert, den Dialog zwischen Einrichtungen wie Museen, dem Kompetenznetzwerk nestor sowie der Games-Branche aufzunehmen und mit Leben zu füllen», so Boris Triebel, Inhaber des Spieleentwicklers rocketscience games und Mitgründer des Entwicklerverbandes GAME e.V. «Die wichtigste Triebfeder wird jedoch der Spieler selbst bleiben, dessen Leidenschaft dafür sorgt, dass die wirklich guten Spiele nicht in der Versenkung verschwinden».
Das Kompetenznetzwerk nestor
nestor ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderter Projektzusammenschluss von derzeit sieben institutionellen Partnern: die Deutsche Nationalbibliothek, die Bayerische Staatsbibliothek, das Bundesarchiv, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek der Georg-August Universität, das Institut für Museumsforschung sowie die Fernuniversität Hagen.
nestor bündelt die deutschen Kompetenzen auf dem Gebiet der Langzeitarchivierung digitaler Ressourcen. Ziel von nestor ist der Aufbau einer dauerhaften Organisationsform für alle Belange der Langzeitarchivierung sowie nationale und internationale Abstimmungen und Aufgabenteilungen. Eine weitere, wichtige Aufgabe ist es, die Öffentlichkeit über die Bedeutung der Bewahrung unseres digitalen kulturellen Erbes zu informieren und aufzuklären. Stephan Ahlf
Kontakt:
Ansprechpartner Projektkoordination nestor
Natascha Schumann, c/o Deutsche Nationalbibliothek
Adickesallee 1, D – 60322 Frankfurt
Tel.: +49 – 69 – 1525 – 1141
Fax: +49 – 69 – 1525 – 1799
E-Mail: n.schumann@d-nb.de
Internet: http://www.langzeitarchivierung.de
Pressebüro nestor, c/o COMMON GmbH
Hamburger Allee 45, D – 60486 Frankfurt
Tel.: +49 – 69 – 71 91 04 – 66
Fax: +49 – 69 – 71 91 04 – 73
Ansprechpartner: Stephan Ahlf
E-mail: presse@common.de
Nähere Informationen zur ITEC08:
http://www.itec08.de
Kommentare von Daniel Leutenegger