13. Mai 2011
NZZ und AZ Medien planen Bezahl-Modell im Internet +++ Tamedia will 200 neue Online-Stellen schaffen
Am SwissMediaForum in Luzern äusserten sich die Verlags-CEOs Martin Kall (Tamedia), Christian Unger (Ringier), Albert P. Stäheli (NZZ-Gruppe) und Christoph Bauer (AZ Medien) zum fundamentalen Strukturwandel der Medienbranche.

Martin Kall kündigte einen massiven Stellenausbau im Online an: «Wir werden in den nächsten zwei Jahren 200 neue Stellen im Online schaffen.» Laut Kall sind die Online-Portale «Newsnetz/tagesanzeiger.ch» und auch «20 Minuten Online» profitabel. Er will im Internet auch durch Übernahmen wachsen: «Vor zwei Jahren wusste ich noch nicht, was doodle ist – nun haben wir 49 Prozent an dem Unternehmen übernommen», sagte Kall.
Das Defizit von «NZZ Online» sei in den letzten Jahren von 3 Millionen auf nunmehr 1 Million Franken gesunken, erklärte Albert P. Stäheli. «Wir sehen nun einen starken Trend zu Break-Even.» Zurzeit wird bei der NZZ ein Strategiewechsel geplant. «Wir arbeiten daran, eine Paywall einzurichten. Sie wird aber flexibel sein», so Stäheli, der keine weitere Details verriet. «Wir müssen hier nach Trial and error vorgehen», so Stäheli. Laut dem NZZ-CEO gehe es Richtung Newsroom bei der «NZZ»-Tageszeitung und «NZZ Online». «Ich kann Ihnen nicht sagen wann, aber es geht in diese Richtung».
Auch der Online-Bereich der AZ Medien schreibe bislang Verluste, räumte Christoph Bauer ein. «Wir sind daran, eine Paid-content-Strategie zu entwickeln, die vor allem im Regionaljournalismus ansetzt.» Im nächsten Herbst werde es so weit sein, kündigte Bauer an.
Martin Kall ist es egal, ob der Werbekunde oder der Leser bezahle. «Die Schweiz ist so wohlhabend, dass sie für Werbekunden immer sehr attraktiv sein wird.» Christian Unger geht davon aus, dass der iPad in der Schweiz zu einem «durchschlagenden Erfolg» wird. Die Schweiz habe weltweit schon die höchste Penetration bei den iPhones. Zurzeit seien hierzulande 100’000 iPads im Umlauf; wenn es 200’000 bis 300’000 sein werden, würde das iPad für Werbung sehr interessant: «Es ist eine gigantische neue Technologie. Sie wird sich für uns monetarisieren lassen.»
Christian Unger sagte, dass Ringier auch im Fernsehgeschäft wachsen wolle und sowohl an «3+» als auch an «TeleZüri» interessiert sei. Es fänden zurzeit Gespräche statt. Im Gegensatz zu Tamedia will die NZZ im regionalen Fernsehgeschäft tätig bleiben: «Das macht für uns Sinn», sagte Albert P. Stäheli. Tamedia wird somit zum einzigen Schweizer Medienkonzern, der kein Fernsehen macht.
Christoph Bauer sagte, es gebe bei der AZ Medien «eine gewisse Bereitschaft, eine Kooperation mit der ‹Basler Zeitung› zu prüfen». Bisher hätten aber keine Verhandlungen stattgefunden. Und die AZ Medien seien auch allein überlebensfähig.
Zuvor hatte der Herausgeber der «International Herald Tribune» am SwissMediaForum dafür plädiert, Qualitätsjournalismus nicht zu verschenken. Stephen Dunbar-Johnson sagte: «Guter Journalismus kostet Geld. Und dafür sind die Leser zu zahlen bereit.» Deshalb habe die New York Times Company, zu der die «International Herald Tribune» gehört, Ende März im Internet eine Paywoll eingeführt. «Wie im Print wird das auch im Internet funktionieren, davon bin ich überzeugt.» Geld im Netz zu verlangen, sei «eine Investition in die Zukunft». Inzwischen gebe es mehr als 100’000 Online-Abonnenten, die zahlen würden, und dies bereits kurze Zeit nach dem Start. Dunbar-Johnson widersprach mit dieser Einschätzung mehreren anderen Referenten am SwissMediaForum; so hatte XING-Gründer Lars Hinrichs am Donnerstag gesagt: «Internetuser werden nie bereit sein, für Nachrichten zu zahlen.» Dunbar-Johnson aber ist überzeugt: «Bald werden andere Medienhäuser unserem Beispiel folgen.»
smf
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SwissMediaForum
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m.canonica@schaerer-partner.ch
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Nachtrag:
Radio DRS 1, «Echo der Zeit» von heute Freitag, 18 Uhr:
Tamedia schafft 200 neue Stellen
Nach den Entlassungen in den letzten Jahren stellt das Zürcher Medienhaus wieder im grossen Stil Journalisten ein. Allerdings nicht für den «Tages-Anzeiger», sondern für die Webseiten von Tamedia.
Kommentare von Daniel Leutenegger