4. April 2020
EXPOSITIONS INVISIBLES (4): «PINSEL, PIXEL UND PAILLETTEN – NEUE MALEREI»
Im Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittingen wäre derzeit und noch bis am 20. September 2020 eigentlich die Ausstellung «Pinsel, Pixel und Pailletten – Neue Malerei» zu sehen. Bilder und Infos zur Ausstellung sowie gegebenenfalls Daten zur eventuellen Eröffnung finden sich auf der angegebenen Webseite.

Bild oben: Heike Müller, «double painting 8», Öl auf Bild, 40 x 50cm
2020
– und die Malerei lebt noch immer. Seit 44’000 Jahren, so dehnen die jüngst in
Indonesien entdeckten Höhlenmalereien den Zeithorizont dieser Entwicklung aus,
erfindet sich das Medium kontinuierlich neu. Heute sind es die expandierenden
Bildwelten im digitalen Raum, welche die menschliche Wahrnehmung auf
unterschiedlichen Ebenen prägen. Wie verändert sich dadurch der Umgang mit
Bildern? Und welche Konsequenzen ergeben sich für die Malerei?
Den letzten grossen Umbruch erlebte das Medium durch die Erfindung der Fotografie 1839. Der mechanische Apparat befreite die Malerei vom Anspruch, die Wirklichkeit getreu abzubilden. Seit den 1950er-Jahren reflektieren Malerinnen und Maler die massenmedialen Bildwelten von Film, Fernsehen und Video.
Nun steht das Medium vor neuen Fragen: Der noch breiteren Verfügbarkeit und Veränderbarkeit von Bildern steht die begrenzte Aufmerksamkeit eines Publikums mit sehr unterschiedlichen Erwartungen gegenüber. Das Verlangen nach spektakulären Motiven und der Einfluss des Kunstmarkts scheinen überhandzunehmen. Im Gegenzug entsteht eine neue Sehnsucht nach Authentizität und Originalität, gesteigert durch das Wissen um Bildmanipulationen und die Vereinnahmung von Bildquellen und Distributionskanälen durch Menschen und Algorithmen.

Bild: Heidi Schöni, «Iguazu 4», 2017, Acryl auf Leinwand, 180 x 210 cm, Courtesy the artist and Galerie Widmer Theodoridis, Eschlikon
Museale Sammlungen dokumentieren über lange Zeiträume hinweg die
Sehgewohnheiten und gesellschaftlichen Aufgaben von Bildern. In Ausstellungen
zeigen sie vergangene und neue Bildwelten in unterschiedlichen Konstellationen.
Dabei spiegeln heute regionale Entwicklungen weitgehend die internationale
Situation. In diesem Sinne unternimmt die Ausstellung «Pinsel, Pixel und
Pailletten – Neue Malerei» eine Bestandsaufnahme der jetzigen Situation des
Mediums Malerei, ausgehend von seinen traditionellen Mitteln: Farbe auf
Leinwand. Kann man mit diesem antiquierten Handwerkszeug noch Neues schaffen?
Vielleicht liegt gerade in der Langsamkeit und Inkompatibilität dieser Mittel
das Potenzial der Malerei?
Zeitgenössische Malerei erlangt Bedeutung auch durch die digitale Verbreitung,
doch erst in der Begegnung mit dem Original entfaltet sie ihre ganze
Wirkungsmacht. Denn Malerei ist die Erfahrung mit einem einzigartigen, meist
von Hand entstandenen Unikat, einem körperlich präsenten Gegenüber. Sie ist
Ergebnis eines alchimistisch umwobenen Prozesses im Atelier, mal Zeitkapsel,
mal Wundertüte – ein auratisches Geheimnis, das die Wahrheit sucht, aber auch
die Öffentlichkeit. Denn Malerei ist zugleich individuelle Mythologie, Konzept
und Statement zur Kunstgeschichte und den darin aufgehobenen Wertesystemen.
Deshalb wird sich die Malerei auch immer weiterentwickeln, die eigenen Grenzen
überschreiten und den Rahmen sprengen.
Die Ausstellung «Pinsel, Pixel und Pailletten – Neue Malerei» widmet sich
insbesondere hinsichtlich des Farbauftrags den neuesten regionalen
Entwicklungen. Haben die Pixel das Pigment bereits abgelöst? In der Ausstellung
werden jedenfalls noch Farben geschüttet und Leinwände mit grosser Geste
erobert, präzise perforiert oder gestapelt, zerschnitten und neu
zusammengesetzt. Was ist noch Bild, was bereits Rauminstallation? Die
Ausstellung gibt keine Antworten, sie erweitert den Fragenkatalog und ist
Zwischenbericht einer neuen Generation von Malerinnen und Malern, die etwas zu
sagen haben. Etwas, das nur in diesem Medium gesagt werden kann.
Mit Werken von
Renate Flury, Ute Klein, Rachel Lumsden, Almira Medaric, Heike Müller, Doris Naef, Lisa Schiess, Kerstin Schiesser, Heidi Schöni, Karin Schwarzbek, Daniela Siebrecht, Olga Titus, Pablo Walser und Günther Wizemann.
kmt
Saalführer mit Interviews mit den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern:
https://kunstmuseum.tg.ch/public/upload/assets/93606/Pinsel_Pixel_Pailletten WEB.pdf
Eine erste virtuelle Führung mit Museumsdirektor Markus Landert:
https://www.thurgaukultur.ch/magazin/live-aus-dem-museumskeller-4359
Kontakt:
https://kunstmuseum.tg.ch/sammlung/ausstellungen/ausstellung.html/7912?exhibition=114
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Bild: Ute Klein, «in either direction (schattenhang)», 2017-18, Öl auf Leinwand, 240 x 170 cm, Kunstmuseum Thurgau
Kommentare von Daniel Leutenegger