12. Februar 2022
«GEOMETRISCHE OPULENZ»
Ausstellung im Museum Haus Konstruktiv, Zürich, bis am 8. Mai 2022

Bild oben: Peter Halley (*1953), Delirium, 2014, Acryl, fluoreszierendes
Acryl und Roll-A-Tex auf Leinwand, 166.3 x 134.6 cm, Courtesy Galerie Xippas und Studio Peter Halley
Mit der Ausstellung «Geometrische Opulenz» präsentiert das Museum Haus Konstruktiv eine grosse Gruppenschau, die einen lustvollen Umgang mit der geometrischen und abstrakten Kunst zelebriert. Zu erleben sind Werke von John Armleder, Claudia Comte, Sylvie Fleury, Franziska Furter, Peter Halley, Mary Heilmann, Timo Nasseri, Nathalie Du Pasquier und Elza Sile.
Geometrie und Opulenz werden im Allgemeinen als Gegensatzpaar aufgefasst: Während Geometrie für Rationalität, Ordnung und Reduktion steht, wird Opulenz mit vereinnahmender Üppigkeit, Übermass und Redundanz assoziiert. Ein Blick in die Geschichte der Kunst zeigt, dass beide durchaus miteinander verbunden sind, insbesondere wenn ein geometrisches Motiv in der Vervielfältigung ornamentale Züge annimmt oder zum Muster wird.
Der Kunsthistoriker Markus Brüderlin bemerkte in einem Text von 2012 (erschienen in dem Sammelband «Ornament. Motiv – Modus – Bild»), dass sich das Ornamentale in der abstrakten Kunst des 20. Jahrhunderts immer wieder als wichtiger Impulsgeber zeige und sich spätestens in der neu erstarkten Abstraktion der 1980er–Jahre im «Hang zum Ornamentalen« verstärkt äussere.
Am Beispiel national und international renommierter Kunstschaffender stellt das Museum Haus Konstruktiv in der Ausstellung «Geometrische Opulenz» die Frage, wie es heute um die Verschränkung von Geometrie und Opulenz steht, ab wann etwas als opulent gelesen wird und wie die Gegenwartskunst diesen Themen begegnet.
Die eingeladenen KünstlerInnen lassen dem Spiel mit Strategien der Vervielfältigung, Verdichtung und Verräumlichung abstrakt–geometrischer Elemente eine besondere Rolle zukommen. Opulenz entsteht hier zum Beispiel durch imposante Formate, eine geballte Ladung Farbe oder eine Häufung von Materialien jeglicher Art. Eine weitere Spielform besteht darin, den zweidimensionalen Bildraum zu verlassen und den Realraum zu vereinnahmen.
Ganz im Sinne der Opulenz wurde allen Kunstschaffenden möglichst viel Raum gegeben, sodass sich die Gruppenausstellung aus weitgehend eigenständigen Einzelpräsentationen zusammensetzt. Allen gemeinsam ist, dass sie in ihrer künstlerischen Sprache an Geometrie und Struktur, Variationen und Systemen interessiert sind und zugleich die grosse Geste, der
die Opulenz bedarf, beherrschen.

Bild: Ausstellungsansicht Claudia Comte, Geometrische Opulenz, Museum Haus Konstruktiv, 2022. Foto: Stefan Altenburger
Den Auftakt zur Ausstellung bildet im Erdgeschoss eine raumfüllende Installation von Claudia Comte (*1983). Das Schaffen der Schweizer Künstlerin zeichnet sich insbesondere durch die Verwendung einer einfachen Formensprache aus, die sie in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Medien wie Skulptur, Druckgrafik, Installation und Malerei erprobt und räumlich inszeniert. Anlässlich der Schau im Haus Konstruktiv hat Comte erstmals für den Innenraum eine freistehende, vier Meter hohe geschwungene Wand mit einem Muster aus wellenförmigen Linien konzipiert. Diese Arbeit ist die Fortsetzung einer Serie von freistehenden Wänden, in denen sich Comte unter freiem Himmel – so zum Beispiel 2017 im kalifornischen Palm Desert – mit den Begriffen Malerei und Skulptur gleichermassen auseinandergesetzt hat: Was passiert, wenn eine zweidimensionale Malerei auf einem dreidimensionalen Objekt angebracht wird? Und in welchem Verhältnis steht das Werk zu seiner Umwelt?
Bezugnehmend auf historische Werke von KünstlerInnen der Op–Art wie Bridget Riley oder Victor Vasarely und interessiert an einer künstlerischen Übersetzung natürlich vorkommender Muster und Strukturen, spielt Comte auch in ihrer neuen Installation «Heads and Tails» mit visuellen Vibrationseffekten. Sie verweist auf das Wellenmuster, das Schlangen erzeugen, wenn sie durch Wasser gleiten. Zugleich steht die Arbeit im Dialog mit der Wandmalerei «Easy Heavy II», die Comte 2013 im Museumscafé realisiert hat und die seither Teil der Sammlung des Museums Haus Konstruktiv ist.
Der erste Stock wird mit einer Auswahl von Arbeiten des Schweizer Konzeptkünstlers John Armleder (*1948) bespielt. Armleder vereint in seinen Werken Zufall und Ordnung, Alltägliches und Hochkultur. So auch in der mehrteiligen Arbeit «Apparences confuses», die sechs Malereien in Kombination mit fünf Lamettabahnen umfasst. Der Eindruck von Opulenz entsteht hier nicht nur durch das Glitzern der festlichen Dekorfäden, sondern mehr noch durch die schiere Menge des auf die Leinwand geschütteten Materials, das neben Farben und Lacken funkelnde Pigmente, Muscheln, Scherben, Styroporkugeln und Pompons einschliesst.
Die Vermischung von High und Low zeigt sich auch an der gegenüberliegenden Wand, auf der über 70 handelsübliche Lavasteinlampen zu einem stimmungsvollen All–over arrangiert sind. Armleder ergänzt seine Präsentation durch zwei geometrische Gemälde und beweist so nonchalant, dass für ihn Opulenz und Geometrie nicht in einem konträren, sondern fruchtbaren Verhältnis stehen.

Bild: Ausstellungsansicht John Armleder, Geometrische Opulenz, Museum Haus Konstruktiv, 2022. Foto: Stefan Altenburger
In der Säulenhalle im dritten Stock präsentiert der deutsche Konzeptkünstler Timo Nasseri (*1972) Werke, in denen er sich mit sogenannten Razzle–dazzle–Mustern beschäftigt, einer im Ersten Weltkrieg für Boote verwendeten Tarnbemalung, die es dem Feind verunmöglichen sollte, Position und Kurs zu bestimmen. Zum einen überträgt Nasseri solche Tarnmalereien auf die zweidimensionale Fläche der Leinwand. Die Form– und Farbkombinationen, die sich aus diesem «Aufklappen« ergeben, erinnern an die visuelle Sprache, die sich an Kultobjekten indigener Völker Amerikas und Afrikas ausmachen lässt.
Zum anderen zerlegt Nasseri die Muster in kleinste Einheiten und fertigt darauf basierend gefaltete Formen aus Metall, die in der Miniatur maskenähnliche Züge annehmen. Zu hunderten in einer Rechteckform an die Stirnwände des Ausstellungsraums appliziert, präsentieren sie sich als eine Art universelles grafisches Alphabet. Mit beiden Werkgruppen schreibt Nasseri die Formen und Muster in eine reiche Geschichte ein, die weit über das 20. Jahrhundert zurückreicht und global verflochten ist.
Die petrolfarben gestrichene Wand der Säulenhalle leitet das Publikum in die im selben Farbton ausgemalten Kabinette, die von der Schweizer Künstlerin Franziska Furter (*1972) eingerichtet wurden. Sie und Nasseri haben schon mehrmals zusammen ausgestellt und sich für die Präsentation im Museum Haus Konstruktiv hinsichtlich der Farbgebung der Wände abgesprochen. Furter versteht sich in erster Linie als Zeichnerin. Deutlich wird dies auch ersichtlich anhand der grossformatigen dreiteiligen Tuschearbeit auf Papier «I Can See Clearly Now», die eigens für die Ausstellung entstanden ist. Furter entwickelte sie im Rekurs auf standardisierte Hintergrundbilder für Mangazeichnungen und orientierte sich dabei an Vorlagen für Explosionen, die in der Vergrösserung ornamentale Züge annehmen. Je nach Betrachtung drängt die Explosion in den Raum hinein oder aus diesem hinaus; der Raum selbst ist instabil geworden.
Im Kabinett daneben schlingen sich auf Nylonfäden aufgereihte silberne Perlen wie eine räumliche Zeichnung netzartig durch die Luft. Die Linien verdichten sich zu Knäueln, Schlaufen und Knoten und visualisieren, so die Künstlerin, Gedankengänge oder Lebenswege. Schlicht in ihrer Linienform und Farbigkeit, zeigt diese Arbeit zugleich eine opulente Fülle an Perleneinheiten.
Die französische Künstlerin und Designerin Nathalie Du Pasquier (*1957), die sich anfangs der 1980er–Jahre als Gründungsmitglied des Kollektivs Memphis einen Namen gemacht hat, wurde eingeladen, den zweiten Raum im dritten Stock für die Inszenierung einiger ihrer Werke zu nutzen. Die architektonischen Bedingungen dieses Raums und die Einbauten der vorangegangenen Ausstellung erwiesen sich als besonders reizvoll für Du Pasquier.
Entstanden ist ein begehbares Gesamtkunstwerk, in dem Architektur, Malerei und Objekte sowie Ausstellungsdisplay gleichwertig zusammenfinden. Die Künstlerin kombiniert Objekte, die sowohl an Reliefs des russischen Konstruktivisten Wladimir Tatlin als auch an modernistische Architekturmodelle erinnern, mit abstrakt–geometrischen Wandmalereien. Deren auf Le Corbusiers Farbskala abgestimmte Tonalität wird in den Sockeln, auf denen die Objekte platziert sind, wieder aufgegriffen. Die räumliche Vereinnahmung erfolgt im Kleinen wie im Grossen; jedes Element wird zum Bildträger und zum Bestandteil eines Gesamtkunstwerks.

Bild: Ausstellungsansicht Nathalie Du Pasquier, Geometrische Opulenz, Museum Haus Konstruktiv, 2022. Foto: Stefan Altenburger
Vier Gemälde des amerikanischen Künstlers Peter Halley (*1953) sind im ersten Raum des vierten Stocks zu sehen. In Auseinandersetzung mit der amerikanischen Farbfeldmalerei begann Halley Mitte der 1980er–Jahre, abstrakt–geometrische Malereien zu realisieren, die sich durch ein einfaches Formenvokabular und eine leuchtend bunte Farbgebung auszeichnen. Viele seiner Gemälde zeigen im Zentrum ein Quadrat oder ein Rechteck, dessen Oberfläche durch die Beimischung von feinkörnigem Sand aufgeraut ist und so an verputzte Wandflächen erinnert. Die zentrale Form wird jeweils von einem orthogonalen Verbundnetz aus Balken und Linien in kräftigen Farben umschlossen. Für Halley sind die geometrischen Formen nicht neutral, sondern sinnbildlich; er vergleicht sie mit Infrastrukturen wie Gefängnissen, Zellen oder Leitungen und reflektiert mit seinen Werken die immer deutlichere Gestaltung des sozialen Raumes nach nüchtern–planerischen Massgaben.
Im nächsten Raum zeigt die amerikanische Künstlerin Mary Heilmann (*1940) eine Auswahl von Malereien, Keramiken und Möbeln, die zwischen 1982 und 2020 entstanden sind. Ihre abstrakten, durch einen ausdrucksstarken Gestus geprägten Malereien arrangiert Heilmann gelegentlich zu mehrteiligen, kühnen Kompositionen. Film, Musik und Literatur beeinflussen ihr Schaffen gleichermassen. Die kleinformatige Arbeit «Driving at Night» beispielsweise erinnert an Lichtkegel, die die Scheinwerfer eines fahrenden Autos in die Dunkelheit werfen und regt dazu an, diese Szene in eine Erzählung oder einen Film einzubetten. Die zarte Farbpalette und sichtbare Rasterung von Werken wie «Green Kiss» oder «Our Lady of the Flowers» – ein Verweis auf Jean Genets Roman «Notre–Dame–des–Fleurs» von 1943 – spielen mit Stilmitteln der amerikanischen Minimal Art, wobei Heilmann deren Reduziertheit mit poetischen Setzungen in kräftigem Dunkelgrün oder Pink sogleich wieder durchkreuzt. Die Präsentation im Haus Konstruktiv eröffnet einen Einblick in das Œuvre dieser einflussreichen Künstlerin, das sich durch einen energiegeladenen Duktus, feine Ironie und eine lustvolle Beschäftigung mit den Stilprinzipien der Moderne auszeichnet.
Eine andere Stimmung finden die BesucherInnen im nächsten Raum vor: Die in Zürich wohnhafte lettische Künstlerin Elza Sile (*1989) zeigt darin vier Aluminiumtafeln, die sie intensiv bearbeitet hat: Sie hat sie ausgebeult, perforiert, eingeritzt, mit Farbe versehen – ob unmittelbar aus der Tube gedrückt oder sorgfältig aufgetragen. Die Werke sind eigens für die Ausstellung entstanden und vor Ort vollendet worden. Sie erinnern unter anderem an den zauberhaften Bilderkosmos von «Alice im Wunderland» und an die Reisen der Protagonistin in winzige oder überdimensionierte Welten. Manche besonders dicht bearbeitete Partien ziehen die Aufmerksamkeit nahezu magnetisch auf sich. Gleichzeitig wirkt der Blick über die gesamte Installation wie die Sicht eines Astronauten aus dem All – wir sehen ein Universum, das viele Erzählungen umfasst.
Glamour, Luxus, Trash, Verführung und Konsum, das sind Begriffe, die Sylvie Fleury (*1961) in ihrem künstlerischen Schaffen wirkungsvoll und nicht ohne (Selbst–)Ironie verhandelt. Mit Strategien der Aneignung und Nachahmung macht die Schweizerin auf Parallelen zwischen Kunstmarkt und Konsumwelt aufmerksam, beispielsweise mit dem Bronzeguss einer Handtasche der Marke Celine oder Shaped Canvases in Gestalt überdimensionierter, glitzernder Lidschatten– und Make–up–Paletten.
Davon, dass Fleury nicht nur mit der Populärkultur, sondern auch mit der männlich geprägten Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts spielt, zeugen zwei Werkserien, in denen sie ikonische Werke der (geometrischen) Abstraktion aufruft und diese gezielt mit weiblich konnotierten Eingriffen verändert: In Anlehnung an Piet Mondrian schuf sie neoplastische Kompositionen mit schwarzen, orthogonalen Linienformationen auf weissem Grund. Manche der Flächen sind nicht gemalt, sondern bestehen aus flauschigem Kunstpelz, womit die strenge Ordnung, aber auch die sofortige Wiedererkennbarkeit der «Marke Mondrian» humorvoll unterwandert wird.
Einen ähnlichen Effekt erzeugt Fleury, wenn sie die Oberfläche quadratischer Bildträger im Überfluss mit funkelnden Swarovski–Kristallen versieht. In ihrer Widersprüchlichkeit weisen Fleurys Objekte binäre Zuschreibungen wie männlich/weiblich, rational/emotional, hart/weich oder produktiv/reproduktiv als sozial konstruierte Kategorien aus.
mhk
Kuratiert von Sabine Schaschl
Kontakt:
https://www.hauskonstruktiv.ch/
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Bild: Ausstellungsansicht Sylvie Fleury, Geometrische Opulenz, Museum Haus Konstruktiv, 2022. Foto: Stefan Altenburger
Kommentare von Daniel Leutenegger