4. Februar 2022
«IM NAMEN DES BILDES – DAS BILD ZWISCHEN KULT UND VERBOT IN ISLAM UND CHRISTENTUM»
Ausstellung im Museum Rietberg, Zürich, vom 4. Februar bis am 22. Mai 2022
Bild oben: «Kopf einer Demeter (?) mit in die Stirn graviertem christlichen Kreuz», Marmorkopie hadrianischer Zeit nach einem Vorbild aus der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr., Kleinasien, Marmor; H. 37 cm, B. 29 cm, T. 31 cm, Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig, BS 252
«Szene in einer Moschee», Aus dem «Fālnāma» von Schah Tahmasp I., Iran, 1550/1560, Farben und Gold auf Papier, 59 × 44,5 cm, MAH Musée d’art et d’histoire, Ville de Genève, Legs Jean Pozzi, 1971-0107-0035
Der Islam, so die landläufige Meinung, kenne ein absolutes Bilderverbot und sei figürlichen Darstellungen gegenüber feindlich eingestellt; ganz im Gegensatz zum Christentum. Aber stimmt die Behauptung überhaupt? Verbietet der Islam Bilder kategorisch?
Und im Christentum: Besagt das Zweite Gebot Mose nicht, dass man sich kein Bildnis machen solle?
Wie kommt es einerseits aber dazu, dass es so viele «islamische» Miniaturen, Keramikschalen und Textilien mit Menschendarstellungen gibt? Wie erklärt sich andererseits, dass in katholischen Kirchen Statuen verehrt werden dürfen? Kurz: Was hat es mit dem Bilderverbot in den islamischen und christlichen Kulturen eigentlich auf sich? Wie gingen sie mit der figürlichen Darstellung, also dem Abbilden von Menschen und besonders des Propheten Muhammad und Christus, um?
Gegenüberstellung: Links: «Mandylion», Russland, um 1800, Farben auf Holz, 76,5 × 60,5 cm, Ikonen-Museum Recklinghausen, 630; Rechts: «Hilye-Tafel», Hafiz Osman, Istanbul, 1103 H. (1691/92), Tinte und Gold auf Papier; 47 × 34 cm, Chester Beatty Library, Dublin, T 559.4
Die Ausstellung widmet sich zum ersten Mal diesen Fragen in einer kulturvergleichenden Schau. Sie zeichnet nach, welche Strategien Islam und Christentum im Verlauf der Jahrhunderte entwickelten, um mit dem Bilderverbot umzugehen. Im Zentrum steht dabei das Mittelalter, die Epoche zwischen dem 6. und 16. Jahrhundert. In dieser Zeit wurde die Bilderfrage ausführlich von Theologen erörtert. Die 136 Werke der Ausstellung decken einen geografischen Raum ab, der vom lateinischen Westeuropa (Königreich Frankreich und Heiliges Römisches Reich) über den östlichen Mittelmeerraum (byzantinisches Reich und später Osmanisches Reich) und Westasien (Persien) bis nach Südasien (indisches Mogulreich) reicht.
Im christlichen Okzident war es die Kirche, die über das Bild bestimmte. Aus einer anfänglichen Ablehnung des Bildes entwickelte sie eine Bildtheologie, in deren Mitte das verehrte Kultbild (eine Ikone oder Statue) steht. Dennoch blieb der Widerstand nicht aus: Zweimal kam es zu einem Bilderstreit, einmal im 8./9. Jahrhundert und einmal während der Reformation kurz nach 1500, in deren Verlauf Bilder zerstört und Statuen zertrümmert
wurden.
Gegenüberstellung: Links: «Zerstörung der Idole der Kaʿba», Aus einem Exemplar des «Āthār al-muẓaffar», Qazvin (Iran), 974 H. (1567), Tinte, Farben und Gold auf Papier, 26,4 × 18,7 cm (Seitenmass), Chester Beatty Library, Dublin, Per 235, Fol. 55r; Rechts: «Der hl. Nikolaus treibt Dämonen aus und zerschlägt Götterbilder», Newjansk (? Russland), zweites Viertel 19. Jahrhundert, Farben auf Holz; 15,9 × 13,5 cm, Ikonen-Museum Recklinghausen, 164
Im islamischen Orient verlief die Entwicklung ruhiger. Hier waren es die einzelnen Rechtsschulen, die bestimmten, ob ein Bild «verboten» oder nur «tadelnswert» sei. Kein Zweifel bestand darüber, dass das Bild weder in der Moschee noch bei religiöse Handlungen einen Platz hat. In allen anderen Bereichen waren es die einzelnen Akteure und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die die Bilderfrage immer wieder von Neuem aushandelten. So entstand an den Höfen in Persien, dem Osmanischen Reich und in Mogulindien eine reiche Bildkultur, während man in den Gebieten Nordafrikas Bildern äusserst zurückhaltend gegenübertrat.
Hat die mittelalterliche Debatte um das Bild eine Bedeutung für uns heute? ‒ Ja. Aus zwei Gründen: Zum einen räumt die Ausstellung ‒ wie zu Beginn angesprochen ‒ mit einem hartnäckigen Vorurteil auf. Zum anderen leben wir in einer Epoche, die wie nie zuvor von Bildern bestimmt wird. Bilder sind allgegenwärtig und jederzeit verfügbar. Wir wissen zwar um die manipulative Macht von Bildern, und dennoch vertrauen wir ihnen häufig unkritisch.
Fünf Multimediastationen in der Ausstellung laden die Besuchenden dazu ein, den eigenen Umgang mit Bildern zu reflektieren.
Ergänzend zur Ausstellung werden einzelne Aspekte in einer Vortragsreihe vertieft. Dabei kommen weltweit anerkannte Expertinnen und Experten zu Wort. Den ersten Vortrag hält Prof. Dr. Wendy M.K. Shaw, die unter anderem mit ihrem Buch «What is ‹Islamic Art›?» über die Fachkreise hinaus berühmt wurde.
mrz
Kontakt:
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«Fath ʿAli Shah Qajar», Mihr ʿAli zugeschrieben; Teheran, um 1805, Geschenk von Fath ʿAli Shah an Napoleon I., Farben und Gold auf Leinwand, 227 × 131 cm, Louvre, Dépôt du Musée de Versailles, Paris, MV6358
Kommentare von Daniel Leutenegger