6. März 2021
«IRIS VON ROTEN – FRAUEN IM LAUFGITTER»
Ausstellung im Strauhof Zürich, bis am 30. Mai 2021

Bild: Iris von Roten in Leuk, undatiert, Foto: unbekannt / © Ringier StAAG/RBA1-4-34980_2
Anlässlich von 50 Jahren Schweizer Frauenstimmrecht präsentiert der Strauhof Iris von Rotens «Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau» (1958). Die umfassende und akribisch recherchierte Streitschrift gilt bis heute als Standardwerk des Schweizer Feminismus. Zu Iris von Rotens weitsichtiger, pointierter, kritischer und innovativer Analyse konzipierte die renommierte Theaterformation MASS & FIEBER erstmals überhaupt eine Ausstellung.
Zehn Jahre arbeitet Iris von Roten (1917–1990) an «Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau» – und schafft ein ungeheures Buch: Sie fordert politische und berufliche Gleichberechtigung, sexuelle Freiheit und prangert vehement das Stillhalteabkommen zwischen den Geschlechtern an.
Als ihr Lebenswerk im Herbst 1958 erscheint, spricht die ganze Schweiz darüber. Sie erhält Zuspruch, doch Unverständnis, Empörung und persönliche Anfeindungen überwiegen bei Weitem. Selbst die Frauenorganisationen distanzieren sich; der Verlag lässt die Streitschrift fallen, und Iris von Roten zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück. Das Buch gerät in Vergessenheit und wird erst nach ihrem Tod wieder aufgelegt – und als Standardwerk des Schweizer Feminismus neu entdeckt.
Die Ausstellung wartet mit einer kleinen Sensation auf: Im Zuge der Ausstellungsrecherche ist ein nicht publiziertes und in Vergessenheit geratenes Kapitel von «Frauen im Laufgitter» aufgetaucht – das Kapitel «Kleidung» wird im Strauhof erstmals der Öffentlichkeit gezeigt.
AUSSTELLUNG
I Bei Nacht auf Zürichs Strassen
Zum Auftakt hat die Zürcher Illustratorin Anna Sommer ein Triptychon zu einer Episode gestaltet, die bereits vor der Buchpublikation für Aufregung gesorgt hat: An einem Dezemberabend 1955 nahm Iris von Roten den letzten Zug von Basel nach Zürich, um dort ihre Freundin und Analytikerin Anna Huggler zu treffen. Am Hauptbahnhof angekommen, ging sie zu Fuss Richtung Seefeld und wurde am Seilergraben von zwei Polizisten angehalten. Von Roten beschreibt die Geschehnisse in einem Artikel, den die «NZZ» publiziert, wie auch die Stellungnahme der Stadtpolizei Zürich.
II Weibliche Berufstätigkeit & Brüder ohne Schwestern
Im ersten Raum lesen vier Schauspielerinnen Passagen aus dem ersten und dem letzten Kapitel von «Frauen im Laufgitter». In einer raumfüllenden Videoinstallation überlagern sich deren Bilder und Stimmen, so dass die Dringlichkeit der Anliegen wie auch die Fülle an Informationen an der Grenze zur Zumutung erfahrbar werden. Mit Barbara Terporten, Nicole Steiner, Fabienne Hadorn und Meret Hottinger.
Das erste und längste Kapitel des Buches behandelt die «Weibliche Berufstätigkeit in einer Männerwelt». Welche Berufswege standen Frauen in den 1950er-Jahren offen? Iris von Roten antwortet schlicht: Nur Berufe und Tätigkeiten, die Männer nicht interessieren.
In «Ein Volk von Brüdern ohne Schwestern», dem abschliessenden Kapitel, äussert sich Iris von Roten als Juristin. Sie analysiert die Schweiz als «älteste Demokratie der Welt», die entgegen jeder Vernunft und Logik an ihrem männlichen Sonderweg festhalten will. Dazu entwirft von Roten ein Science-Fiction-artiges Szenario, wie Frauen mit einfachsten Mitteln die Welt innerhalb von wenigen Generationen vollständig verändern könnten – wenn sie das nur wollten.
III Liebe, Mutterschaft und Haushalt
Der nächste Raum handelt vom häuslichen Leben der Schweizer Frauen. Die Kapitel über die Liebe, die Mutterschaft und den Haushalt bilden eine Art Dreifaltigkeit des weiblichen Alltagslebens.
Eine dreibeinige Skulptur in der Mitte des Raumes bewacht das Original-Manuskript des Buches und gibt die Dreiteilung des Raums vor. Ihre Beine muten wie Blitze an, die von Iris von Rotens energischer Schrift an die Wände geworfen werden.
Die zahlreichen Zitate sind mit Werken feministischer Kunst der letzten Jahrzehnte kombiniert; einige sind auch in die Sprechblasen einer Comic-Serie aus den 1950er-Jahren eingefügt.
IV Reaktionen
In der Schweiz gab es keine Zeitung oder Zeitschrift, die «Frauen im Laufgitter» nicht rezensiert oder in einer Glosse erwähnt hätte. Der Ton ist zuweilen herablassend, spöttisch, weit öfter aber betroffen – gelegentlich zustimmend, meist aber ablehnend.
Einzelne Statements sind als Projektion an den Wänden abzulesen, zwei grosse Artikel sind als Reproduktionen umfassend sichtbar.
Bei der Autorin selbst gingen ebenfalls viele Zuschriften ein – die ausgestellten Briefe stammen aus dem Nachlass Iris von Rotens. Die Skala der Reaktionen reicht auch hier von Unverständnis bis Begeisterung; es gibt anonyme Pöbeleien; vor allem aber wird ihr dafür gedankt, dass jemand sagt, «wie es ist».
V Ein zusätzliches Kapitel: Kleidung
Im Herbst 2020 ist in Iris von Rotens Nachlass das bisher unbekannte Kapitel «Kleidung» aufgetaucht. Laut einem Überblick auf der Rückseite des Manuskripts war es im Buch als zweites Kapitel (nach «Berufstätigkeit») vorgesehen. Auf knapp 70 Seiten handelt es vom Verhältnis zwischen Kleidung und Geschlecht; ein Teiltranskript ist in der Begleitpublikation abgedruckt.
VI Komplizinnen
Mit der abschliessenden Installation aus einem vierzehnteiligen Tisch mit vierzehn Bänken erweitert die Ausstellung den Blick auf den Feminismus. Der solitären Kämpferin Iris von Roten werden 13 Komplizinnen aus unterschiedlichen Ländern, Zeiten und Kulturen beigesellt. Ihnen allen ist gemeinsam, was auch das Schaffen der Autorin kennzeichnet: Wut und Mut.
Manche bereiteten mit ihrem Lebenswerk den Boden für «Frauen im Laufgitter», andere führen ihre Thesen in unerwartete Richtungen weiter; wieder andere verbinden sich zuallererst über Leidenschaft, Klarheit, Unbedingtheit oder als Freundin mit Iris von Roten.
Neben ihr vertreten sind Olympe de Gouges, Emilie Kempin-Spyri, Alexandra Kollontai, Virginia Woolf, Anna Huggler, Annemarie Schwarzenbach, Louise Bourgeois, Audre Lorde, Monique Wittig, Ursula Koch, Coco Loretan, Sara Ahmedund La Gale.
cp
Begleitpublikation:
Zur Ausstellung erscheint der Reader «Iris von Roten – Frauen im Laufgitter», gestaltet von Peter Kaden, Hamburg/Zürich 2021, 110 Seiten, 12 CHF. ISBN: 978‒3‒9525232‒2‒3
Rahmenprogramm:
www.strauhof.ch/veranstaltungen
Projektleitung: Rémi Jaccard | Philip Sippel
Konzeption: Brigitte Helbling (Texte/Reader) | Elke Auer (Artwork/Video) | Thomas Rhyner (Grafik) | Niklaus Helbling (Inszenierung)
Schauspiel: Fabienne Hadorn | Meret Hottinger | Nicole Steiner | Barbara Terporten
Illustration: Anna Sommer
Soundtrack: Daphne Oram / Oram Trust
Leihgaben: Hortensia von Roten
Kontakt:
https://strauhof.ch/programm/aktuelle-ausstellung/
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Kommentare von Daniel Leutenegger