9. Februar 2014
«Joseph Kosuth: Das Dasein und die Welt»
Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen, bis am 24. August 2014

Bild: Der Künstler Joseph Kosuth vor der Leuchtschrift an der Fassade der Kartause Ittingen, 2014 – Fotografie: © Mirjam Wanner
Die Ausstellung «Joseph Kosuth: Das Dasein und die Welt» gruppiert um die Werke des Kunstmuseums Thurgau Leihgaben aus Privatsammlungen. Die vom Künstler selbst kuratierte Zusammenstellung gibt einen Überblick über das gesamte Schaffen eines Exponenten der Kunst seit 1960.
Das
Kunstmuseum Thurgau ist im Besitz eines der bedeutendsten Werke von Joseph
Kosuth, der als einer der Wegbereiter der Konzeptkunst gilt. 1999 entstand für
eine Ausstellung die Installation «Eine verstummte Bibliothek», die den
gesamten Boden des ehemaligen Weinkellers der Kartause Ittingen einnimmt. Die
Arbeit wurde 2006 für das Museum erworben. 2013 bot Joseph Kosuth dem
Kunstmuseum eine weitere Arbeit als Schenkung an: Ein Zitat von Friedrich
Nietzsche ziert seit Anfang 2014 in Neonschrift die Westfassade des Hauptgebäudes
der Kartause Ittingen. Die leuchtende Schrift verweist gut sichtbar auf
die Nutzung des Gebäudes auch als Kunstmuseum.
Das neue Werk besteht aus dem Zitat «Denn nur als ästhetisches Phänomen ist das
Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt» von Friedrich Nietzsche. Der Satz ist
dem 1872 herausgegebenen Buch «Die Geburt der Tragödie» entnommen. In diesem
Text entwickelte der junge Philosoph seine Theorien von der Entstehung und dem
Niedergang der griechischen Tragödie. Teil seiner Ausführungen sind grundsätzliche
Erörterungen über die Funktion von Ästhetik und Kultur in der Gesellschaft.
Nietzsche entwickelt dabei die Vorstellung einer bipolaren Spannung zwischen
dem dionysischen und dem apollinischen Prinzip, die sich in der Musik und im
Bildnerischen manifestiert. Alles Dasein und damit die ganze Welt lässt sich
nur aus dem Spannungsfeld dieser beiden Pole verstehen.
Mit der kommentarlosen Positionierung dieses Zitats auf der Fassade eines
Klosters provoziert Joseph Kosuth eine ganze Reihe von Fragen: Was genau meint
dieser Satz von Friedrich Nietzsche, der aus dem Kontext des Buchs herausgelöst
interpretationsbedürftig wird? Welche Gültigkeit hat die Aussage heute? Was
sagt der Satz aus zur Situation der Kartause Ittingen und zum Kunstmuseum? Was
verstehen wir heute unter einem «ästhetischen Phänomen»? Welche Beziehungen
bestehen zwischen dem Ästhetischen, dem Dasein und der Welt?
Joseph Kosuth bezieht keine Position zu diesen Fragen. Durch die Inszenierung
des Zitats an der Museumsfassade verschiebt der amerikanische Künstler die
Auseinandersetzung mit diesen Fragen vielmehr in den öffentlichen Raum: Alle
Besucherinnen und Besucher der Kartause sind angesprochen. Das Kunstwerk und
die Museumsfassade werden zum Ort der philosophischen Erörterung von Erkenntnis-
und Sinnfragen. Insbesondere fragt Joseph Kosuth auch nach der Aktualität von
Nietzsches Behauptung und thematisiert damit eine der wichtigen Fragen einer
Gesellschaft, in der Bilder und Musik allgegenwärtig sind. Sein Kunstwerk wird
so zum Ort einer offenen Auseinandersetzung über die Aufgaben der Ästhetik und
des Schönen in der Gesellschaft.
Aus Anlass der Schenkung organisiert das Kunstmuseum in enger Zusammenarbeit
mit Joseph Kosuth eine Ausstellung, in der modellhaft die künstlerischen Strategien
des weltbekannten Künstlers vorgestellt werden. Die «verstummte Bibliothek» und
das Zitat von Nietzsche werden ergänzt mit herausragenden Werken aus Schweizer
Privatsammlungen. Die Zusammenstellung versammelt so zentrale Werke des
Künstlers aus mehreren Jahrzehnten.
Joseph Kosuth (*1945) gehört zu den Pionieren der Konzeptkunst. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts untersuchte er zusammen mit einigen seiner Kollegen grundlegend die Funktion der Kunst und ihrer Mittel. Er führte die Sprache als wichtiges Ausdrucksmittel der Kunst ein und thematisierte in seinen Kunstwerken die Produktion von Bedeutung mit Hilfe verschiedener künstlerischer Ausdrucksmittel. Seine nunmehr über vierzigjährige Forschungstätigkeit fand ihren Ausdruck in zahlreichen Installationen, Museumsausstellungen, Arbeiten im öffentlichen Raum und Publikation in Europa, Amerika sowie dem Fernen Osten. Werke von Joseph Kosuth wurden in vielen Ausstellungen zur zeitgenössischen Kunst gezeigt, darunter fünfmal an der Documenta in Kassel, viermal an der Biennale in Venedig und in den wichtigsten Museen der Welt.
kmt
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Biografie
Werke
Texte
Joseph Kosuth: Eine verstummte Bibliothek
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Kontakt:
http://www.kunstmuseum.ch/xml_1/internet/de/application/d8/f115.cfm?action=ausstellung.show&id=93
Kommentare von Daniel Leutenegger