1. Juni 2023
«SALVATORE EMBLEMA. SUB-LIMINE»
Ausstellung im Museum Haus Konstruktiv Zürich, bis am 10. September 2023
Bild: Salvatore Emblema, Ohne Titel, 1981. Eingefärbte Erde auf Jute, 160 x 130 cm – Courtesy Museo Emblema – Salvatore Emblema Estate
Das Museum Haus Konstruktiv widmet in den Sommermonaten dem italienischen Künstler Salvatore Emblema (1929 Terzigno – 2006 ebenda) die erste retrospektiv angelegte Ausstellung in der Schweiz. Auf zwei Stockwerken werden Malereien, skulpturale Objekte und Installationen aus dem Nachlass gezeigt, die Einblicke in die Schaffensphasen von 1959 bis in die 2000er-Jahre ermöglichen.
Fern der italienischen Nachkriegsavantgarde im Norden des Landes schafft der Neapolitaner Salvatore Emblema ein eigenständiges und archaisch anmutendes Werk, das sich keinem Stil zuordnen lässt und doch klare Bezüge zu den Kunstströmungen seiner Zeit aufweist.
Nach Abbruch seines Kunststudiums an der Accademia di Belle Arti di Napoli und Reisen innerhalb Europas lebt Emblema Anfang der 1950er-Jahre in Rom. Dort assistiert er an Filmsets der Cinecittà und kann 1954 erstmals eine Einzelausstellung realisieren. In diesen Jahren macht Emblema auch Bekanntschaft mit Jean Dubuffet, der unter anderem mit Erde und Kies Bilder fertigt. Für Emblema, der die bisher letzte grosse Eruption des Vesuv erlebte hatte, muss die Verwendung von Naturmaterialien eine Offenbarung gewesen sein. 1944 war Terzigno von Vulkanasche eingedeckt worden, weite Teile der Gemeinde wurden zerstört. Diese existenzielle Erfahrung führte Emblema zum einen die Verbindung von Landschaft und Identität vor Augen und zum anderen die geologischen Gegebenheiten seiner nächsten Umgebung. Sie wird später prägend für die Materialwahl in seiner Malerei.
Die retrospektiv angelegte Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit mit dem Archivio Salvatore Emblema in Neapel entstanden ist, beginnt im 4. Stock neben Fritz Glarners «Rockefeller Dining Room» (1964/65). Die zwei frühesten Werke Emblemas, beide von 1959, weisen bereits zentrale Merkmale seines gesamten späteren Werks auf. Anfänglich malt er aus Geldnot auf Jute, doch schon bald fasziniert ihn die ungleichmässige, durchscheinende Struktur des Materials. Dieses bemalt er nicht mit chemischen Farben, sondern mit eigens zusammengestellten Erdpigmenten aus vulkanischer Asche, versteinerter Lava und oxidierten Metallen.
1957 hatte sich Emblema die Möglichkeit geboten, für ein Jahr nach New York zu gehen. Die dortige Begegnung mit Mark Rothko und dessen Color Field Paintings sollte sein Schaffen in den Folgejahren ebenso prägen wie der Besuch des Metropolitan Museum, wo ihn die Leuchtkraft römischer Fresken überwältigt hatte. Emblema berichtet später, erst aus der Ferne die Qualitäten und Möglichkeiten seiner Herkunft erkannt zu haben.
Der Technik der Pompejaner, gemahlene Erde mit einem transparenten organischen Bindemittel zu vermengen, wird sich Emblema nach seiner Rückkehr nach Terzigno bedienen. Seiner Herkunft geht er wortwörtlich auf den Grund, indem er auch unbehandelte Lavasteine auf grossformatigen Tafeln anbringt.
Bild: Salvatore Emblema, Sub-limine, Ausstellungsansicht, Museum Haus Konstruktiv, 2023 – Foto: Stefan Altenburger, Courtesy Museo Emblema – Salvatore Emblema Estate
Die Bildöffnung ist in der italienischen Nachkriegskunst ein häufig zu beobachtendes Phänomen, bei Lucio Fontana etwa und seinen «Tagli» oder bei Agostino Bonalumi mit reliefartigen Bildoberflächen. 1968/69 erarbeitet Emblema eine Werkgruppe, die seinen Weg hin zur Überwindung der Bildgrenze einleitet. In diesen vergleichsweise kleinformatigen Bildern, die ungerahmt auf einem Keilrahmen aufgezogen sind, werden die Grenzen zumeist einfarbig und geometrisch so stark betont, dass die Limitierung der Leinwand zu einem wesentlichen Bildelement wird. Dabei nutzt er die grob gewobene Struktur der Juteoberfläche, die mit ihrer leichten Transparenz den Keilrahmen durchscheinen lässt.
Der Kunsthistoriker Giulio Carlo Argan machte Emblema auf den unerforschten Raum hinter dem Bild aufmerksam und animierte ihn, diesen zu ergründen. Ende 1969 berichtet Emblema, das Ei des Kolumbus gefunden zu haben, indem er dem Jutestoff einzelne Webfäden entzogen habe. Mit dieser subtraktiven Manipulation, die den Blick durch die Leinwand hindurch auf die Wand ermöglicht, realisiert Emblema eine seiner wichtigsten Werkgruppen, die «de-tessute». Hatte die Materialität der Jute anfänglich aus Not als Bildträger gedient, erweist sie sich nun als ein Mittel, um Grenzen auszuloten und die Binnenstruktur der Bilder zu gestalten. Dieser subtile Kunstgriff und die Überlistung der Grenzen, zusammengefasst in dem Begriff «Sub-limine», ist zentral für Emblemas Werk und titelgebend für die Ausstellung. Fortan wird er die drei Komponenten Licht, Raum und Transparenz in eine Beziehung setzen und analysieren. In den 1970er-Jahren vertieft Emblema die Arbeit an den «de-tessute» und greift parallel dazu mit Installationen und dreidimensionalen Strukturen weiter in den Raum ein. In der Zürcher Ausstellung werden diese Werke im 3. Stock präsentiert.
Die «Porte» (1974), die in verschiedenen Anordnungen und einer variierenden Anzahl von Elementen im Raum platziert werden können, bestehen aus denselben Materialien wie die Bilder: Juteleinwand, eingefärbter Erde und Holz. Exemplarisch erweitern sie die Diskussion über Grenzen und Übergänge. Ab wann ist ein Bild eine Skulptur und wie verhält sich der Raum dazu? Wie werden Licht und Transparenz verhandelt, wenn gemäss Emblema jede Wand zur Landschaft wird, sobald Licht darauf fällt?
Werktitel wie «Ricerca sul paesaggio» (1972–1976) oder «Altro spazio» (1972) betonen Emblemas Interesse am Gelände. Für die Gitterstrukturen, die auch im Aussenraum installiert werden können und mit einer intensiven Beobachtung der Umgebung einhergehen, verwendet Emblema die Farben Blau und Rot, die Licht besonders gut absorbieren, wie auch Weiss, das sich darin scheinbar auflöst. Dadurch wird die Landschaft Emblemas Werk eingeschrieben. Dennoch steht sie nicht im Mittelpunkt seines Schaffens, sondern dient durchgehend der Erforschung der Transparenz und der damit einhergehenden räumlichen Qualitäten.
Die jüngsten Werke in der Ausstellung findet man im 4. Stock. 2004 verhandelt Emblema erneut das Thema der Bildöffnung und der Leinwandmanipulation: Diesmal bringt er durch das Verknoten des Stoffes Bewegung ins Bild.
Kuratiert von Sabine Schaschl
mhk
Kontakt:
https://www.hauskonstruktiv.ch/
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Bild: Salvatore Emblema, 1980 – Foto: zVg, https://www.hauskonstruktiv.ch/medienunterlagen/
Kommentare von Daniel Leutenegger