5. September 2011
SHIRANA SHAHBAZI: «MUCH LIKE ZERO»
Ausstellung im Fotomuseum Winterthur, noch bis am 13. November 2011
Bild: © Shirana Shahbazi
[Frucht-07-2009] – C-Print – Galerie Bob van Orsouw, Zürich
04.10.2011 um 12h15: «Simulation und Hyperrealität in Shirana Shabazis
Fotografie» mit Natalie Madani
Wie real oder wie abstrakt ist Fotografie? Diese Frage beschäftigt die
Fotografie seit ihrer Erfindung. Oliver Wendell Holmes schlug schon 1859 vor,
die Welt in ihrer Ganzheit zu fotografieren, danach könne man sie abbrennen:
«Die Form ist in Zukunft von der Materie getrennt». Alvin Langdon
Coburn räsonierte 1916: «Warum soll nicht auch die Kamera die Fesseln konventioneller
Darstellungskunst abstreifen und etwas Frisches, bisher nicht Erprobtes
wagen?» In den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts spricht
man von «Generativer Fotografie», von selbsterzeugender Fotografie.
Die Frage kommt nicht zur Ruhe. In jüngster Zeit ist das Thema wieder sehr
aktuell. In Arbeiten von Wolfgang Tillmans zum Beispiel scheint die Vorstellung
durch, dass alle Fotografien gegenständlich, konkret und abstrakt zugleich
sind, dass alle «Konstruktionen (sind), die durch Übersetzungen und Manipulationen
entstehen».
Shirana Shahbazis Arbeit kreist seit zehn Jahren im Spannungsfeld von
Gegenständlichkeit und Abstraktion, Indexikalität und freier Bildlichkeit. Sie
stellte in dieser Zeit oft überraschende Bilder zueinander. Neben einem abstrakten
Farbverlauf zum Beispiel hängen zwei Porträts, danach eine schwarzweisse
Aufnahme einer steppenartigen Landschaft, gefolgt von einem Stillleben mit
Beeren und Früchten, schliesslich zwei Teppiche, geknüpft nach Fotografien
eines jungen Mannes und einer sonnendurchschienenen Landschaft. Diese Abfolge
zeigt, wie sehr sie wiederholt um die Frage der Repräsentation in der
Fotografie ringt, wie sie vor intensivfarbenen, monochromen Hintergründen mit
ihr spielt, wie sie auch mit ihr hadert.
In ihren Werken ist eine grosse Bilderlust zu spüren: Porträts, Landschaften, Stadtbilder, Stillleben und abstrakte Farbflächen gehören zu den Genres, den Werkzeugen ihrer Kunst. Inszeniert, vorgefunden, beobachtet, aufgefangen, direkt auf Fotopapier geprintet oder von Malern zu riesigen Billboards vergrössert, früher auch zur Wandtapete verarbeitet und repetitiv als Muster, als Rapport, als Fond aufgeklebt, oder zu Teppichen, zu strahlenden, leuchtenden, warmen Bildteppichen verknüpft.
Doch immer wieder durchsetzte sie die Bilderlust mit Fragezeigen, mit Hinterfragungen – bis sie den totalen Schritt in den Farbraum, den abstrakt-konkreten glühenden Bildraum wagte.
Die neusten
Bilder sind – wenn auch weiterhin analog im Studio mit farbigen Körpern
konstruiert – weitgehend abstrakt, sind geometrische Muster,
farblich-rhythmische Überlagerungen im Grossformat. Shirana Shahbazi erzeugt
hier in abstrakter Bildlichkeit eine ergreifende, strahlende Unmittelbarkeit.
«Wir werden keine Welt gestalten und wollen es auch nicht direkt. Sich
gestalterisch denkend zu bewegen genügt fürs Erste, vielleicht wird etwas Neues
daraus, nur eben nicht, indem es von vornherein mit einem neuen Weltbild in
Einklang stehen soll, sondern als Selbstläufer, in der Hoffnung, dass es auch
schön aus dem Ruder läuft und wunderbare Bastarde bildet.» Diese Zeilen
des deutschen Malers Bernd Ribbeck formulieren einen Grundton der neuen
Beschäftigung mit der Abstraktion, in der Shirana Shahbazi eine wichtige Rolle
spielt. «Much like Zero», ohne die Schwere der Referenzen, des
Repräsentationsanspruchs, ohne die Schwere der Welt mit ins Bild zu holen.
Die Ausstellung im Fotomuseum Winterthur zeigt nebst vielen neuen und neusten Fotografien auch den (konzeptuell gestrafften) Werkteppich, an dem Shirana Shahbazi seit rund zehn Jahren arbeitet.
Die Ausstellung wurde vom Fotomuseum Winterthur in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin organisiert. Der Kurator der Ausstellung ist Urs Stahel. Zur Ausstellung erscheint bei Steidl, Göttingen, ein Katalog mit englisch-deutschem Begleitheft, Text von Urs Stahel.
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Kommentare von Daniel Leutenegger