7. Januar 2011
Sichtbar unsichtbar – Nichts ist in der Ausstellung nicht zu sehen
Ausstellung der Graphischen Sammlung der ETH Zürich, bis 14. Januar 2011

Bild oben: Martin Schwarz, Ohne Titel, 1982, Schwarz-Weiss-Fotografie (zur Vergrösserung anklicken)
Die Ausstellung zeigt Sichtbares – vor allem Druckgraphik, einige Zeichnungen und Fotografien aus den Beständen der Graphischen Sammlung. Und hier ist gleich noch zu betonen: dass der reiche Bilderschatz dieser Sammlung insgesamt gewiss mehr Darstellungen von recht eigentlich Unsichtbarem versammelt als von tel quel Sichtbarem.
Unsichtbar heisst hier also: Thematisch geht es darum, etwas zu zeigen, was
eigentlich kein Bild zeigen kann, weil man es mit eigenen Augen normalerweise
nicht sehen kann. Aber: Was man nicht sehen kann, gerade das muss man zeigen.

Bilder
oben:
Jakob Merz (1783-1807)
Knäblein mit Sanduhr
1798
Radierung
unten:
Hugo Schumacher (1939-2002)
Fahrt ins Grüne
1979
Siebdruck in neun Farben

Kunst ist jedenfalls immer auch bemüht, ausser dem Sichtbaren Unsichtbares sichtbar zu machen. Caspar David Friedrich ging gar so weit zu sagen: «Der Maler soll nicht bloss malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht, sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht.»
Imagination heisst dieses «bildgebende» Mittel. Sie ist das
Vermögen, das «Unbedingte», also Vorstellungen nicht vorhandener Dinge,
dingfest zu machen.
Traditionell sind es ja immer wieder die Sphären mit Engeln und Teufeln. Wer kann behaupten, das je gesehen zu haben? Vorstellungskraft hat nicht nur vom Überirdischen, vom «Drüber» etwas zu bieten, sie wird auch von dem, was «Drunter» sein könnte angeregt, vom Unterirdischen – und sei es nur das nüchterne Interesse der Archäologen an verschütteter Wirklichkeit und mehr oder weniger fantastischer Rekonstruktion.
Dann: Zeit kann man nicht sehen. Balzac schrieb noch: «Wer hat
je eine Bewegung berührt … Wir fühlen ihre Wirkungen, aber wir sehen sie nicht.»
Wir leben inmitten von unsichtbar Winzigem, das erst mit geeigneten Sehhilfen
sichtbar geworden ist, ebenso wie das Entfernte – und das Nächste: Das eigene
Selbstporträt sieht man nur im Spiegel. Und inwendig – wie sehen wir da aus?
Und so weiter.
Entgegen der Visualisierung von Unsichtbarem suchen andere Darstellungen, Sichtbares unsichtbar zu machen. Auch solche Aspekte zeigt die Ausstellung, unter inhaltlichem oder technischem Blickwinkel. Verstecken, Verpacken, Aussparen oder Ausbleichen sind etwaige Strategien.
Zuweilen geht die Kunst an
die Grenze des gerade noch Sichtbaren, spielt mit unserer Wahrnehmung; oder sie
verweigert das fertige Produkt und begnügt sich mit Andeutungen.
Da geht es aber auch um das unsichtbare Bild im Bild, das Wasserzeichen, oder
um Vorder- und Rückseite eines Blattes; es geht ums pars pro toto, da ein
bestehendes Werk nur ausschnittweise wiedergegeben ist und den Rest der Vorlage
unsichtbar belässt.
So oder so: Sehen oder Nichtsehen – das ist hier die Frage. Nichts ist in der
Ausstellung jedenfalls nicht zu sehen.
Eva Korazija
Kontakt:
http://www.gs.ethz.ch/ausstellung/aktuell_f.html

Adolf Karl Otth (1803-1839)
Stockhorn
13. Juli 1834
Feder, braun laviert
Kommentare von Daniel Leutenegger