22. Juli 2011
«Uns alle» in der Kunsthalle
Ausstellung in der Kunsthalle Bern: «UNS ALLE: Master Diplome der HKB», noch bis am 31. Juli 2011
Bild: Remo Stoller mit «Exxotronika» (rechts), Markus Kummer mit einer Skulptur aus Holz, Glas und Metall (Mitte) – Foto: zVg (zur Vergrösserung anklickbar)
Der Titel dieser Ausstellung spielt mit dem Paradox, dass aus der Subtraktion von drei Buchstaben im Wort «Kunsthalle» unvermittelt eine Summe entsteht: «Uns alle». Uns alle sind die Diplomandinnen und Diplomanden aus dem Bereich Fine Arts und eine Studentin der Performance im Master of Contemporary Arts Practice der Hochschule der Künste Bern sowie zwei Gäste aus dem Master Fine Arts der HGK Basel.
Gleich in der Eingangshalle entwickelt Matthieu Barbezat seine grossformatige Wandmalerei von der Fläche mit einer Nuance von Relief hinaus in den Raum. Die Verbindung mit dem Ort geschieht nicht nur in der direkten malerischen Geste, vielmehr auch in Motiven aus der Glasdecke des Saals, die in einer burlesken Ornamentik aufgehen. Schliesslich schieben sich zwei mit Spuren von Tapetenmustern bezeichnete Tafelbilder ornamenthaft in die Wandmalerei ein.
Aus der Wand in den Raum stösst auch die an Seilen vor einem mehrfarbig glänzenden Grund aufgezogene Steckstruktur von Remo Stoller. Das fragile Gebilde schwebt über dem farbigen Grund, wie auf der anderen Seite der Längswand jene Liste französischer Adjektive für besondere Farbwerte, die zusammen eine abstrakte Geometrie evozieren.
Im kleinen Raum zur Rechten spielt Tatiana Rihs mit den Sprechweisen der Moderne. Aus der Perspektive einer Spätzeit führt sie abstrakte Bildcodes, Design- und Textfragmente ein, die durch die Unschärfe des Übersetzens zu anderen Bedeutungen führen. Die Codes zwischen Menschen, Menschen und Affen werden zu Mustern, nach denen wir die Dinge im Raum untereinander in Beziehung setzen können.
An und vor der Stirnwand des hinteren Saals versetzt Sonja Kretz drei bildhafte Elemente in eine rätselhafte Konstellation. Auffaltung, Schichtung, Überlagerung – die Gesten des Herstellens dieser Objekte verweisen auf eine vernetzte Lektüre in einem weit gespannten Feld von Assoziationen.
Ivan Ebel sucht nach Formen der Nicht-Unterscheidbarkeit von Innen- und Aussenraum. Perspektivische Kippfiguren, Symmetrien oder unauslotbare Nebelkammern erinnern in Malerei, Zeichnung und Fotografie an die Möglichkeit, es könnte einen Zustand jenseits der strengen logischen Gegensätze geben. Die formale Perfektion seiner Arbeiten verschärft die Frage nach der Auflösung aller Grenzen.
Markus Kummer begegnet dem durch seine Öffnungen komplexen, doch symmetrisch klaren Volumen des grossen Saals mit einer prekären Konstruktion. Aus vorgefertigten, nur flüchtig ineinander gesteckten Trägern, einer Holz- und einer Glasplatte, die an den Schnittstellen mit einem speziellen Gips fixiert sind, erhebt sich ein Gebilde mit der Beständigkeit einer plastischen Fata Morgana. Prekär ermisst er mit einer Stange – einer Säule? – auch die Vertikale des architektonischen Raums. Dabei gewinnt er Höhe aus dem Überspielen einer Brechung.
Maja Rieder schichtet ihre langen, mit Graphit bezeichneten Papierbahnen lose übereinander zu einem nahezu quadratischen Bild, das seine Entstehung nicht verschleiert, sondern nahelegt, dass es auf dieser Wand nur auf Zeit genau diese Gestalt angenommen hat. Es bewahrt die Möglichkeit, auch anders zu sein. Gleichzeitig wird diese Zeichnung zu einem Objekt, das zusammen mit den Plastiken diesen Raum bestimmt.
Maja Rieder ist Studentin am Master Fine Arts der HGK Basel. Der Austausch beim Diplom spiegelt die besonders enge Verbindung zwischen den Masterprogrammen in Basel und Bern durch einen übergreifenden Pool von Dozierenden oder die gegenseitige Öffnung von Kursen und Infrastruktur. So werden in der Basler Diplomausstellung im Kunsthaus Baselland auch zwei Positionen aus Bern vertreten sein (www.fhnw.ch/hgk/iku/master-of-fine-arts).
Im zentralen Saal findet sich eine dritte Arbeit von Remo Stoller: Auf blau- und grüntonigen Teppichfeldern steht ein komplex ineinander gefügter, für Durchblicke geöffneter kubischer Körper wie freigesetzt zur Drift. Die durchdachte Konstruktion will bewusst nicht verschweigen, dass ihr Prinzip der Verschachtelung und Anlagerung auch ein Prinzip der Veränderung ist. Die Bücher an der Wand erweitern das Potential der Abweichungen.
Lauris Paulus zeigt im Aaresaal einen dichten Verweiszusammenhang aus verschiedenen plastischen und bildnerischen Elementen. Die Wiederholung von Symmetrien und reziproken Spiegelungen erzeugt einen Zirkel, in dem sich mehrfache Gesten der Entleerung, der Auslöschung von Bedeutungen selbst in ein Nichts verflüchtigen.
Dorothea Schürch legt im Treppenhaus ihre schriftliche Masterthesis in Music and Media Arts und Performance auf. Textpassagen, die sich in halbtransparentem Papier überlagern, erläutern den mentalen Bau eines «Inaudible College», das ans invisible college aus dem 17. Jahrhundert erinnert. Konstruktive Zeichnungen und gedrechselte Objekte sind die visuellen und taktilen Trigger von Klang mit Stimme.
Der Master CAP ist insofern als ein transdisziplinäres Studium zu verstehen, als Begegnungen und Bewegungen über die Grenzen der eigenen Disziplin hinaus nicht nur erwünscht, sondern im Alltag selbstverständlich sind.
Bei Samuel Graf wurde scharf geschossen: Die filigranen Bruchlinien in den sechs Schichten einer schwarzen Glaspyramide in der Ecke des unteren Raums sind augenblicklich mit einem Einschuss entstanden. Die schlanke Stange, die leichthin den Raum noch trennt und trägt, gleicht dem Anhalten des Atems im Moment eines unaufhaltbaren Zerfalls, der auch das bewegte Bild erfasst.
In seinem Videoloop«WZ15_Mont122» evoziert Ralph Klewitz mit statischer Kamera ein Landschaftsbild aus den Alpen. Die leichten Wellen, die der Wind auf dem milchigen Bergsee aufkommen lässt, verbinden sich mit der akzidentiellen Bewegung einer Gruppe von Wanderern, die nur am Rand und unmerklich durchs Bild geht. Dazu wird eine Reihe von englischen Verben gesprochen, die den Deutungshorizont dieses ruhenden Bildes im Fluss halten.
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Bereits aus diesen knappen Darstellungen der einzelnen Positionen geht hervor, dass die Ausstellung «Uns alle» nicht auf dem inhaltlichen Konzept einer thematischen Gruppenausstellung beruht, sondern die Vielfalt von Haltungen widerspiegelt, die heute diesen Masterzyklus zum Ort der Konfrontationen über die Grenzen der Künste hinweg werden lässt.
Ob es nicht wenigstens eine Tendenz gibt? Auffallend ist, dass viele Arbeiten sowohl als Einzelobjekt wie auch als Elemente in einem Verweiszusammenhang gedacht sind: als gäbe es scharf konzipierte Konstellationen fernab vom Konzept.
khb
Kontakt:
http://www.kunsthalle-bern.ch/de/agenda/?current
Kommentare von Daniel Leutenegger