14. Februar 2023
DER ÖSTERREICHISCHE KOMPONIST UND DIRIGENT FRIEDRICH CERHA IST GESTORBEN
Der am 17. Februar 1926 in Wien geborene österreichische Geiger, Komponist, Dirigent, Schriftsteller, Bild-Künstler, Vermittler und Hochschullehrer Friedrich Cerha (Bild) ist am 14. Februar 2023 ebenda gestorben. Schon früh setzte er sich als Geiger und Dirigent für das zeitgenössische Musikschaffen ein. 1958 gründete er gemeinsam mit Kurt Schwertsik das Ensemble «die reihe», welches eine intensive Konzerttätigkeit im In- und Ausland begann und zum wichtigsten Ensemble für die Neue Musik in Österreich wurde. Als Komponist zunächst von Webern und Debussy beeinflusst, entwickelte sich Cerha zu einem der führenden lebenden Komponisten in Österreich. Ihm gelang es, über die Entwicklung der Musikstile nach 1945 hinaus zu einer eigenen persönlichen Ausdrucksweise zu gelangen und international Anerkennung zu finden. Cerha arbeitete in allen Genres.
Bild: Friedrich Cerha, 2006 – Foto: HPaul, https://commons.wikimedia.org/wiki/User:HPaul (Ausschnitt) – Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en – Datei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Friedrich_Cerha_2006.jpg
Friedrich Cerha ist tot
Nach Jahrzehnten des produktiven Schaffens war Friedrich Cerha der unangefochtene Doyen der österreichischen Avantgardemusik. Nun ist der Komponist, Dirigent, Interpret und Wissenschaftler am Dienstag im Alter von 96 Jahren in Wien verstorben.
Beinahe so zahlreich wie seine Werke waren auch die Auszeichnungen, die Cerha im Laufe seines Lebens erhielt: Für seine kompositorische Arbeit wurden ihm unter anderem der Preis der Stadt Wien (1974) und der Große Österreichische Staatspreis (1986) verliehen. Das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst folgte 2005, im Jahr darauf wurde er bei der Musik-Biennale in Venedig mit dem erstmals vergebenen Goldenen Löwen für ein Lebenswerk geehrt. 2008 folgte das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien, 2011 der Musikpreis Salzburg und 2012 mit dem Ernst-von-Siemens-Musikpreis die wohl renommierteste Auszeichnung ihrer Art, die mit 250’000 Euro dotiert ist.
red, ORF.at/Agenturen
https://orf.at/stories/3305123/
Seinen gebührenden Platz in der Musikgeschichte hatte Cerha mit einigen Jahren Verspätung endlich gefunden
Es muss für ihn paradox gewesen sein, seine internationale Bekanntheit vor allem dem Dienst an einem anderen Komponisten zu verdanken. Doch seine Vervollständigung der fragmentarischen «Lulu» von Alban Berg war es, die Friedrich Cerha die größte Aufmerksamkeit bescherte, seit sie 1979 unter dem Dirigat von Pierre Boulez und in der Regie von Patrice Chéreau in Paris uraufgeführt wurde.
Die «Herstellung des 3. Akts» der Oper, wie Cerha es in seiner bescheidenen und nüchternen Art selbst nannte, hatte ihn mehr als anderthalb Jahrzehnte beschäftigt – und flugs begann man in seiner eigenen Musik Einflüsse von Berg herauszuhören, die (…) Cerha stets zu relativieren versuchte.
Daniel Ender
https://www.derstandard.at/story/2000143525956/komponist-und-dirigent-friedrich-cerha-gestorben
Eine singuläre Gestalt
Letzter Inbegriff eines großen Komponisten. Schöpfer von Opern, Orchesterwerken, Kammermusik. Stilprägend. Die Musikgeschichte mitformend. Ein sicherer Anker im wildbewegten Meer des stilistischen Pluralismus. Ein Stiller auch, ein Nachdenklicher, ein Grübler. Lieber in den Bergen auf Wanderung als auf Empfängen. Lieber befasst mit Philosophie als mit Tagesaktualitäten. Friedrich Cerha also.
Edwin Baumgartner
Friedrich Cerha, Doyen der Avantgarde
Er war die Verkörperung des zeitgenössischen Komponisten in diesem Land. Friedrich Cerha stand für die vom Publikum ungeliebte musikalische Avantgarde und deren radikalste Ausprägungen. Er komponierte Werke, die wirklich alle vertrauten formalen und harmonischen Gesetze hinter sich ließen. Seine «Spiegel für Orchester» realisierten in der Musik, was die abstrakte Malerei für die Bildende Kunst war.
Wilhelm Sinkovicz
https://www.diepresse.com/6251255/friedrich-cerha-doyen-der-avantgarde-ist-gestorben
Musik machen war für ihn wie atmen
Noch im hohen Alter suchte «das Urgestein im Gebirge der österreichischen Avantgardemusik», wie ihn die Austria Presse Agentur in ihrem Nachruf so stimmig nennt, stets nach Neuem. Zu seinem 90er sagte der Wiener: «Der Weg, auf dem ich suche, führt notgedrungen zu mir selbst. Es geht also auch noch immer darum, neue Seiten an mir selbst zu finden. Das intensive Erleben von Musik ist ein Weg in sich hinein – auch für den Zuhörer.»
Michael Tschida
Ein stiller Gigant der Musik
Als Doyen der Neuen Musik in Österreich schuf er ein Werk mit Gewicht und Schmäh und half nicht nur der Orchestermusik dieses Landes, weltoffener und neugieriger zu werden.
Georg Leyrer
https://kurier.at/kultur/komponist-friedrich-cerha-ist-tot-ein-stiller-gigant-der-musik/402310277
Meister des Klang- und Hintersinns
Bescheidenheit zählt gemeinhin nicht zu den Grundtugenden großer Künstler. Friedrich Cerha war anders. «Ich rede nicht gern und lasse lieber die anderen reden», sagte er im SN-Interview anlässlich seines 90. Geburtstags. Als er auf seine schönsten Erinnerungen an Salzburg angesprochen wurde, verwies der Komponist weder auf die Festspielschwerpunkte zu seinen runden Jubiläen noch auf die Uraufführung seiner Oper «Baal» im Kleinen Festspielhaus, sondern auf das Jahr 1983: «Da haben wir mit der Unterstützung von Hans Landesmann ein Webern-Fest gemacht. Das war der 100. Geburtstag von Anton Webern, das war sehr schön.»
Florian Oberhummer
Ein Komponist, eine Institution
Bescheiden, dennoch selbstsicher und aufrecht, zierlich von körperlicher Gestalt, doch noch äußerst vital nahm Friedrich Cerha als 86-jähriger den Ernst von Siemens Musikpreis entgegen. Der Komponist nimmt’s entspannt: «Ich war immer genötigt, in mich gefestigt zu sein und ich hab› immer gelassen reagiert auf Angriffe und genauso gelassen auf Preise oder Zustimmung.» Dass diese renommierte Auszeichnung ihm zugesprochen wurde, überraschte manch einen. Denn so vielseitig Cerha war, so blieb er zeitlebens doch ein Unangepasster.
Meret Forster
Der Untertreiber
Delikat und nonchalant, weltmännisch und darin zugleich sehr österreichisch: Friedrich Cerha.
Michael Stallknecht
https://www.sueddeutsche.de/kultur/nachruf-friedrich-cerha-komponist-1.5751091?reduced=true
Volkstum auf vergiftetem Boden
Einen «wienerischen Untertreiber» hat ihn sein ungarischer Kollege György Ligeti einmal genannt, mit austriakischer Lust am Sprach-Drahtseilakt das Paradoxon von kleiner Allüre und großer Wirkung pointierend. Denn Friedrich Cerha war der Typ des Bewegers, der das allemal Fragment bleibende Ganze von Kunst, Leben und Gesellschaft im Auge behielt. Ein untertreibender Umtreiber also, in der Nachfolge von Franz Liszt und Ferruccio Busoni – als Komponist, Interpret, Lehrer, Schriftsteller, Bild-Künstler, Vermittler, Innovator.
Gerhard R. Koch
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/nachruf-auf-den-komponisten-friedrich-cerha-18678116.html
Klangrausch gegen Betonköpfe
Je grösser die Widerstände waren, umso lustvoller haute Cerha dem Publikum die Musik um die Ohren. In seinen eigenen Kompositionen ging er weit über sämtliche Vor- und Nachkriegsavantgarde hinaus. War der Komponist zu Beginn seiner Karriere dem Neoklassizismus, der Zwölftonkomposition und dem Serialismus zugewandt, befreite er sich Anfang der 1960er von solchen Traditionen und schuf eine eigene Klangwelt.
hauf/winj
«Ausgetretenen Pfaden zu folgen, war Cerhas Sache nicht»
Die Wiener Staatsoper trauert um Friedrich Cerha, einen der bedeutendsten und vielseitigsten Komponisten der Gegenwart, der nicht nur die internationale Musikgeschichte mitgeschrieben und sie nachhaltig beeinflusst hat, sondern auch die Aufführungsgeschichte der Wiener Staatsoper immer wieder mit Höhepunkten bereicherte.
«Ausgetretenen Pfaden zu folgen, war Cerhas Sache nicht. Das Ausprobieren und Austesten neuer Ideen machen sein Œuvre so lebendig und bezwingend. Lothar Knessl spricht über Cerhas Unangepasstheit und das Unzeitgemäße der Werke Friedrich Cerhas, die sich nie einem Modediktat unterwarfen – genau das sichert ihnen vielleicht auf den internationalen Konzertpodien und Opernbühnen die dauerhafte Gültigkeit», so Staatsoperndirektor Bogdan Rošcic.
Respekt und Dankbarkeit
«Friedrich Cerha hat vergleichslos viel für die neue Musik in Österreich getan, er hat das musikalische Leben in den letzten Jahrzehnten nachhaltig mitgeprägt und gestaltet. Seine Bedeutung als Komponist ist ganz und gar unbestritten. Als Ensemblegründer und Förderer des musikalischen Nachwuchses hat Friedrich Cerha Wesentliches geleistet, dafür ist ihm höchster Respekt und Dankbarkeit zu erweisen», sagte Intendant Markus Hinterhäuser in einer ersten Stellungnahme.
https://www.salzburgerfestspiele.at/blog/nachruf-zum-tod-von-friedrich-cerha-2
Audios / Videos:
Österreichische Mediathek:
https://www.mediathek.at/index.php?id=1161&q[]=Friedrich+Cerha
cba: Wörtlich – Friedrich Cerha
Radio SRF 2 Kultur: Friedrich Cerha in Musik und Gespräch, 20.06.2012
https://www.srf.ch/audio/musik-unserer-zeit/friedrich-cerha-in-musik-und-gespraech?id=10229481
Radio SRF 2 Kultur: Flink, flugs, flott – zum 90. Geburtstag von Friedrich Cerha, 17.02.2016
Zu Gast bei Friedrich Cerha – Teil 1
https://www.youtube.com/watch?v=dxWt7syrA44
Gertraud und Friedrich Cerha sinnieren über das Wiener Musikleben nach 1945
https://www.youtube.com/watch?v=Cz2l7qHHP-g
Friedrich Cerha talks about his music
https://www.youtube.com/watch?v=LYPzqFrCpsg
Friedrich Cerha (Komponist) zum 95. Geburtstag
https://vimeo.com/72034669?embedded=true&source=vimeo_logo&owner=15106901
Cerha: Schlagzeugkonzert ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Martin Grubinger ∙ Andrés Orozco-Estrada
https://www.youtube.com/watch?v=DLiPZPWtd7o
Friedrich Cerha: Cello Concerto – Susanna Mälkki – Bruno Weinmeister
https://www.youtube.com/watch?v=fk86oVwBQVQ&t=14s
Friedrich Cerha: Nacht (2012/13)
https://www.youtube.com/watch?v=18FVE7L14Yc
Friedrich Cerha, BAAL,1. AKT – Sébastien Soules
https://www.youtube.com/watch?v=glHQP7G18MQ&t=60s
Friedrich Cerha ~ Spiegel
https://www.youtube.com/watch?v=4eg5dvsXVak
Mehr:
https://www.archivderzeitgenossen.at/bestand/vorlass-friedrich-cerha/
https://de.karstenwitt.com/kuenstler_in/friedrich-cerha
https://www.universaledition.com/friedrich-cerha-130
https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Friedrich_Cerha
https://www.essl.at/bibliogr/cerha.html
https://www.essl.at/bibliogr/cerha-laudatio.html
https://de.karstenwitt.com/artikel/cerha-95-geburtstag
https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=119172267
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Cerha
https://en.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Cerha
#FriedrichCerha #CHcultura @CHculturaCH ∆cultura cultura+
Kommentare von Daniel Leutenegger