13. März 2025
DIE RUSSISCH-TATARISCHE KOMPONISTIN SOFIA GUBAIDULINA IST GESTORBEN
Die am 24. Oktober 1931 in Tschistopol (Tatarische Autonome Sowjetrepublik) geborene sowjetische bzw. russische Komponistin Sofia Asgatowna Gubaidulina (Bild) ist am 13. März 2025 in Appen (Deutschland) gestorben. Als Studentin am Konservatorium von Kasan wurde sie mit einem Stalin-Stipendium ausgezeichnet. Während dieser Studien wurde ihre Musik aber als «pflichtvergessen» bezeichnet; Dmitri Schostakowitsch jedoch ermutigte sie, ihren «Irrweg» fortzusetzen. In der Mitte der 1970er-Jahre gründete Gubaidulina gemeinsam mit den Komponisten Viktor Suslin und Wjatscheslaw Artjomow das Ensemble Astreja, das auf Instrumenten der russischen Volksmusik improvisierte. In den 1960er- und 1970er-Jahren waren ihre Werke in der Sowjetunion verboten, weil ihre Musik nicht den Vorstellungen des Sozialistischen Realismus entsprach. Ihr Erfolg im Westen wurde vor allem vom Geiger Gidon Kremer unterstützt, der ihr erstes Violinkonzert «Offertorium» 1981 uraufführte. Seitdem gehört Sofia Gubaidulina zusammen mit Alfred Schnittke und Edisson Denissow zu den führenden, weltweit anerkannten Komponist:innen Russlands der Ära nach Schostakowitsch. Gubaidulina lebte seit 1992 in Deutschland. (*)

Bild: Sofia Gubaidulina, 2016 – Foto: Mikhail Kozlovsky, https://rais.tatarstan.ru/pressa/photoreports/photoreport/1870967.htm – Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.en – Datei: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/ba/Sofia_Gubaidulina_%282016-11-03%29.jpg
Schillernde Gärten der Stille
Auch wenn in ihrer niemanden kalt lassenden Musik die Macht von Zahlen wirksam ist: Sie zählte nie zu jenen Komponisten, die, ähnlich wie Architekten mit klingenden Proportionen etwas «bauen». Eher verglich sie ihr musikalisches Arbeiten mit einem Züchten und Hegen in der Art eines liebenden Gärtners. Sofia Gubaidulina verstand sich darauf, die Unerbittlichkeit der Zeit zu verwandeln, aufzuheben, und Resonanzen zu ermöglichen mit dem Klang einer namenlosen Präsenz. Nun ist die große tatarisch-russische Klangmetaphysikerin gestorben.
Helmut Rohm
https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/sofia-gubaidulina-gestorben-nachruf-100.html
Großmeisterin der Sonnengesänge
Romantisch, meditativ, apokalyptisch und zärtlich: Niemand hat mit größerer Dringlichkeit die Schrecken der Welt komponiert als Sofia Gubaidulina.
Reinhard J. Brembeck
Komponieren als Weg zu Gott
„Ich möchte eine Einheit schaffen zwischen meiner Existenz und der von Gott“, beschrieb die Komponistin ihre kreative Programmatik. „Ich verstehe Religion als einen Prozess, diese Einheit zu schaffen. Vielleicht ist Kunst nur eine Art von Gottesdienst für mich selbst.“ Ihr eigenes russisch-orthodoxes Christentum war dabei ähnlich großzügig wie Olivier Messiaens Katholizismus. „Die Kluft zwischen den Konfessionen macht mich traurig, das Urchristentum war anders gestimmt. Jesus lebt in unserem Herzen und nicht im Dogma“, kommentierte sie ihre Johannes-Passion aus dem Jahr 2000.
Jan Brachmann
Sie ließ in der Coronazeit den Zorn Gottes losdonnern
Eine zutiefst gläubige Tartarin, geboren am 24. Oktober 1931 in Tschistopol. Die bei Hamburg lebte und von dort noch zuletzt hochbetagt den „Zorn Gottes“ losdonnern ließ. Eine kleine, starke Frau in der eher schütteren Riege der Gegenwartskomponistinnen, die viel gespielt wurde, seit den Achtzigerjahren bei großen Orchestern populär war, die so exotische Instrumente wie das Knopfakkordeon Bajan erklingen ließ, aber auch von Geigenweltstars wie Gidon Kremer oder Anne-Sophie Mutter um Uraufführungen gebeten wurde. Das alles war Sophia Gubaidulina, die politisch einiges durchmachen musste, sich aber nie verbiegen ließ, stets im orthodoxen Christentum Sinn und Trost, vor allem auch Inspiration für ihre ganz eigene, auch eigensinnige Musik fand.
Manuel Brug
Zuletzt hat sie den „Zorn Gottes“ beschworen
Und wer mit dem Schaffen von Sofia Gubaidulina auch nur halbwegs vertraut war, wusste, dass aus diesem Anlass die musikalische Erde beben würde. Auch deshalb, weil die Komponistin ohnehin niemals halbe Sachen machte: Das verbot ihr ihr künstlerisches Ethos ebenso wie ihre fundamentale Spiritualität. Der Sinn des Titels war also kein ironischer, verschlüsselter, zitathafter, sondern genau so direkt gemeint, wie er klingt. „Gott ist zornig“, stellte Gubaidulina damals schlicht klar. „Er ist zornig, böse auf uns Menschen, auf unser Verhalten. Wir haben Schuld auf uns geladen!“
Walter Weidringer
https://www.diepresse.com/19467604/sofia-gubaidulina-ist-tot-sie-hat-den-zorn-gottes-beschworen
Mit Sofia Gubaidulina verliert die Musikwelt eine überaus faszinierende Persönlichkeit, die auch in Luzern grosse Spuren hinterlassen hat
Christian Berzins
In der Stille hören, was in der Welt und im Universum klingt – zum Tod der grossen Komponistin Sofia Gubaidulina
Sie war unermüdlich kreativ, bescheiden, aber unbeugsam: Seit 1991 lebte die russisch-tatarische Komponistin Sofia Gubaidulina im Exil in Deutschland. Jetzt ist sie im Alter von 93 Jahren gestorben.
Marcus Stäbler
Zu radikal für Russland: Sofia Gubaidulina fand Ruhm erst im Exil
Sofia Gubaidulina, die Grande Dame der russischen neuen Musik, ist im Alter von 93 Jahren verstorben. Eine Würdigung der international erfolgreichen Komponistin, die erst in ihrer zweiten Heimat anerkannt wurde.
Florian Hauser

Bild: Sofia Gubaidulina, 1981 – Foto: Dmitri N. Smirnov, https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Dmitrismirnov – Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en – Datei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sofia_Gubaidulina_July1981_Sortavala_%C2%A9DSmirnov.jpg
Sofia Gubaidulina, Composer Who Provoked Soviet Censors, Dies at 93
Ms. Gubaidulina (…) wrote many works steeped in biblical and liturgical texts that provoked censors at home and, beginning in the final decade of the Cold War, captivated Western audiences. She was part of a group of important composers in the Soviet Union, including Arvo Pärt, Alfred Schnittke and Edison Denisov, who found disfavor with the authorities but acclaim abroad.
Corinna da Fonseca-Wollheim
https://www.nytimes.com/2025/03/13/arts/music/sofia-gubaidulina-dead.html
Sofia Gubaidulina, the composer who fused sound and spirituality, has died at age 93
One of the first modern women composers to reach international acclaim, Gubaidulina’s singular style was often large in scope, both musically and philosophically, yet intimate in the painterly details she conjured from an orchestra.
In 2021, to mark her 90th birthday, conductor Andris Nelsons and the Gewandhaus Orchestra of Leipzig released an album containing three huge symphonic pieces each with deeply metaphysical underpinnings. Gramophone magazine called it «One of the most remarkable musical and spiritual journeys ever conceived, by a composer whose personal modesty would never lead you guess that she commands the forces of the Apocalypse.» One of the works on the album, The Wrath of God, opens with a horde of snarling tubas and ends with a wink and a rhythmic nod to Beethoven’s Ninth Symphony.
Tom Huizenga
https://www.npr.org/2025/03/13/nx-s1-5327261/sofia-gubaidulina-russian-composer-has-died
Sofia Gubaidulina, composer whose intensity was spurred by the tyranny of the Soviet regime
The contemplative, often overtly religious tone of her compositions offered a challenge to the official atheism of the Communist state
La grande compositrice russe Sofia Gubaidulina est morte à 93 ans
C’est en grande partie grâce au violoniste letton Gidon Kremer, pour lequel elle avait composé son premier concerto pour violon Offertorium, que le public occidental découvrira l’œuvre de la compositrice russe au début des années 80. Un répertoire contemporain qui séduit les plus grands chefs d’orchestre et musiciens.
Ainsi, d’elle, Sir Simon Rattle déclarait: «Elle est telle une ermite volante, car elle est toujours en orbite et ne visite la terre ferme qu’occasionnellement», tandis qu’Andris Nelsons confiait que «la musique de Sofia Gubaidulina, son intelligence et sa profonde spiritualité, est profondément touchante». Anne-Sophie Mutter, à qui elle avait dédié en 2007 son 2e concerto pour violon, In tempus praesens, la décrivait comme «intellectuelle, mais sans jamais se mettre en avant».
Philippe Gault
La scomparsa di Sofia Gubaidulina
Nella ricca produzione di Sofia Gubaidulina si trovano miscelati in maniera originale tradizione e avanguardia, Oriente e Occidente, la dimensione solistica e l’ampio impasto strumentale. Una parte considerevole della sua produzione si caratterizza per impianti politonali, per l’uso originale di strumenti derivanti dalla tradizione sia classica sia folk, miscelando timbri con esiti originali e variegati. La sua attività si è rivolta a lavori di impianto sia orchestrale e corale, sia per vari strumenti e formazioni quali quartetti d’archi e altri ensemble cameristici.
https://www.giornaledellamusica.it/news/la-scomparsa-di-sofia-gubaidulina
Muere a los 93 años la compositora Sofía Gubaidulina, alma de la música rusa del siglo XX
La creadora musical fue la más singular de una generación que alzó la voz contra el realismo socialista oficial.
Jorge Fernández Guerra
Videos / Audios:
Энигма. София Губайдулина / Sofia Gubaidulina. Часть 1-я. Эфир от 10.09.20
https://www.youtube.com/watch?v=_C_v-uU-RM4
Portrait of Sofia Gubaidulina – Part 1 of 3
Sofia Gubaidulina announcement – Polar Music Prize 2002
Gubaidulina: Dialog: Ich und Du (3. Violinkonzert) ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Baiba Skride ∙ Altinoglu
Gubaidulina – Anne-Sophie Mutter
Gidon Kremer Gubaidulina Concerto No.1 „Offertorium“, Culture Ministry Orchestra conducted by Gennady Rozhdestvensky, Moscow, 1989
Radio SRF 2 Kultur. Aus Musik unserer Zeit vom 30.12.2015, 1:00:09
Sofia Gubaidulina: Offertorium
Radio DRS 2, «Diskothek», 14.04.2012, 1:59:42
Mehr:
https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/sofia-gubaidulina/
https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=119073927
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/person/gnd/119073927
https://www.boosey.com/cr/catalogue/ps/powersearch_results?composerid=2710
https://mugi.hfmt-hamburg.de/receive/mugi_person_00000321
https://www.sueddeutsche.de/kultur/sofia-gubaidulina-der-zorn-gottes-1.5656923
https://en.wikipedia.org/wiki/Sofia_Gubaidulina
(*) https://de.wikipedia.org/wiki/Sofia_Asgatowna_Gubaidulina
#SofiaGubaidulina #CHcultura @CHculturaCH ∆cultura cultura+
Kommentare von Daniel Leutenegger