21. Juni 2025
DIE SCHWEIZER SCHRIFTSTELLERIN GERTRUD LEUTENEGGER IST GESTORBEN
Die am 7. Dezember 1948 in Schwyz geborene Schweizer Schriftstellerin Gertrud Leutenegger (Bild) ist am 20. Juni 2025 ebendort gestorben. Sie wuchs in Schwyz auf, lebte später aber auch in der französisch- und in der italienischsprachigen Schweiz. An der Zürcher Schauspielakademie studierte sie Regie und sie arbeitete 1978 am Hamburger Schauspielhaus als Regieassistentin Jürgen Flimms. Nach zahlreichen Reisen und Aufenthalten in Florenz und Berlin lebte sie längere Zeit in Japan. Zuletzt wohnte sie in Zürich. 2010 wurde sie in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung berufen. (*) 1986 gewann sie den Preis der Schweizerischen Schillerstiftung, 1999 den Innerschweizer Kulturpreis und 2009 den Schillerpreis der Zürcher Kantonalbank; 2014 war Gertrud Leutenegger auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, 2023 erhielt sie den Solothurner Literaturpreis und 2024 wurde ihr der Kunstpreis der Stadt Zürich verliehen. Gertrud Leutenegger verfasste Gedichte, Romane, Essays, Erzählungen und Theaterstücke.

Bild: Gertrud Leutenegger – Foto: © https://solothurner-literaturpreis.ch/wp-content/uploads/2023/01/Gertrud_Leutenegger_c_zvg-SW-Cropped.jpg
Die Schweizer Autorin Gertrud Leutenegger ist 76-jährig verstorben
Wenn sich der deutschsprachige Literaturbetrieb heute vor allem durch die Lautstärke der Selbstvermarktung auszeichnet, dann war sie darin eine der leisesten, dafür aber umso echteren Stimmen.
1975 hat Gertrud Leutenegger mit dem Roman «Vorabend» debütiert, einem psychologischen Glanzstück, in dem sich politische Aktualität und etwas zeitlos Eigensinniges verbanden.
Paul Jandl
Die Magierin
Für Gertrud Leutenegger (1948-2025)
Die Schweiz hat eine ihrer grössten Erzählerinnen verloren
Gertrud Leutenegger ist tot, und wer sie und ihre Texte kennt, der mag dieser Nachricht wohl nicht so recht trauen. Eine feine, eine zerbrechliche Autorin ist sie, und zugleich doch bestimmt, mit klaren Linien. Eine Literatin mit vielen Geheimnissen, eine Seherin. Wer einmal ihren Panischen Frühling (2014) gelesen hat, der weiss: Diese Erzählerin sieht die Wasser steigen, sieht auf den Grund der Zeit – und die Flut, sie steigt auch in ihr, treibt dieses Ich ins Irgendwo, sie muss es erst wieder suchen gehen.
Gertrud Leutenegger sah – und man muss es nun für einmal in der Vergangenheitsform aussprechen – anders auf diese Welt. Wer mit ihr zu tun hatte, wer sich glücklich schätzen durfte, mit ihr über das Schreiben zu sprechen, über die Kunst, über das, was einem unversehens begegnet, über das Wunderbare, von dem sie nicht ablassen konnte, wer sie über ihre Innerschweizer Heimat reden hörte, über das Alpenglühen, das sie in Zürich immer vermisst hat – der wusste sofort, dass diese Frau Schriftstellerin werden musste. Weil sie nämlich literarisch in die Welt hineinsah.
Nichts blieb ihr selbstverständlich, Zeit nahm sie sich für jedes Wort, und manchmal, wenn ihr das Leben zusetzte, trug sie ihr Blick über erlittenen Schmerz auch hinweg.
Philipp Theisohn
Zum Tod von Gertrud Leutenegger (1948-2025)
Bin unsäglich traurig: als ich 1989 mein erstes literarisches Buch veröffentlichte, hiess es Literaturszene Schweiz. Von Rousseau bis Gertrud Leutenegger. Seit ich die junge blonde Frau bei einer Lesung aus Vorabend erstmals gesehen und gehört hatte, verkörperte sie für mich wie keine andere Autorin die Grösse der Literatur des 20. Jahrhunderts in ihrer ganzen Traditionalität u n d Modernität, sie zeigte, dass Literatur ebenso abgründig und geheimnisvoll wie persönlich, intim sein konnte, und es war in ihren seltenen, aber wunderbar dichten, hinreissend poetischen Texten nicht nur Wesentliches über unsere Zeit enthalten, sondern auch darüber, was für eine grosse, treue, hingebungsvolle Liebende sie sein konnte.
Dass ihre letzte grosse Liebe zwei Jahre vor ihrem Tod zerbrach, stimmt alle traurig, die gespürt haben, dass nichts sie so getragen und inspiriert hat, wie dieses Phänomen, vor dem wir am Ende alle klein und hilflos sind.
Charles Linsmayer
https://www.facebook.com/photo/?fbid=10228878381292942&set=a.1073106596525
https://www.linsmayer.ch/autoren/L/LeuteneggerGertrud.html
Poetik der «stillen Töne»
Mit ihrem Roman Panischer Frühling (2014) war sie beim Schweizer Buchpreis nominiert, beim Deutschen Buchpreis schaffte sie es auf die Shortlist. 2014 erhielt sie den Roswitha-Preis; der deutschen Literaturpreis wird ausschließlich an Schriftstellerinnen vergeben. Dabei würdigte die Jury Leutenegger als «herausragende Stilistin» und «ungewöhnlichen Schriftstellerin», deren Poetik von den «stillen Tönen» lebe.
(APA/dpa)
https://www.diepresse.com/19818845/schweizer-schriftstellerin-gertrud-leutenegger-gestorben
Videos:
Schriftstellerinnenportrait GERTRUD LEUTENEGGER
Portrait der Schweizer Schriftstellerin Gertrud Leutenegger (geb. 1948) aus der von Sabine Haupt und Roland Zag initiierten SRF-Serie «LiteraTour de Suisse» (1997): Schweizer AutorInnen betrachten ihr Land.
«Panischer Frühling» von Gertrud Leutenegger (Suhrkamp)
Fernsehen SRF 1, «Literaturclub» 18.11.2014, 16 min
Deutscher Buchpreis 2014 | Einzelportrait Gertrud Leutenegger, 1:20 min
Mehr:
https://lexikon.a-d-s.ch/Person/20147
https://www.viceversaliteratur.ch/author/3774
https://www.suhrkamp.de/person/gertrud-leutenegger-p-2896
https://www.dichterlesen.net/personen/detail/gertrud-leutenegger/
https://tls.theaterwissenschaft.ch/wiki/Gertrud_Leutenegger
https://helveticat.nb.admin.ch/discovery/search?tab=LibraryCatalog&vid=41SNL_51_I
https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=118825054
https://www.linsmayer.ch/autoren/L/LeuteneggerGertrud.html?fbclid=IwY2xjawLEDXVleHRuA2FlbQIxMAB
(*) https://de.wikipedia.org/wiki/Gertrud_Leutenegger
Auf ch-cultura.ch u.a. erschienen:
#GertrudLeutenegger #CHcultura @CHculturaCH ∆cultura cultura+
Nachträge vom 22.06.2025:
Es ging ihr um das Durchsichtigwerden der Welt
Seiltänzerisch geht es zu und her bei Gertrud Leutenegger. Waghalsig, aber stilsicher erzählen ihre traumschönen Texte mit teils rätselhaften Bildern davon, wie nahe Schönheit und Schrecken beieinanderliegen und wie es die Dinge zu durchdringen gilt, um an den Kern unseres Daseins zu gelangen. Die Figuren muten sich einander zu und lassen dabei nicht selten Federn. Die Geschichten geben auch der Natur immer einen wichtigen Platz und erzählen von Gefühlszuständen und der Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Erinnerung.
Nora Zukker
https://www.derbund.ch/gertrud-leutenegger-tot-nachruf-auf-die-schriftstellerin-535697812821
Ihre unterschätzte Wildheit
Gertrud Leutenegger gehörte zu den großen Unbekannten – nicht nur der Schweizer, sondern der deutschsprachigen Literatur überhaupt. In ihrer lyrisch gefärbten Prosa begegnet man einem staunenden, forschenden Ich.
Sieglinde Geisel
Kommentare von Daniel Leutenegger