11. September 2024
DER ROSWITHA-HAFTMANN-PREIS 2024 GEHT AN DIE UGANDISCH-BRITISCHE KÜNSTLERIN ZARINA BHIMJI
Der Roswitha-Haftmann-Preis will auf das Lebenswerk aussergewöhnlicher Künstlerinnen und Künstler aufmerksam machen. Mit CHF 150'000 ist es der höchstdotierte europäische Kunstpreis. Zarina Bhimji (Bild) ist die 22. Preisträgerin, die die Auszeichnung erhält. Vorherige PreisträgerInnen waren u. a. Walter De Maria, Maria Lassnig, Robert Ryman, Cindy Sherman, Robert Frank, VALIE EXPORT und Cildo Meireles.

Bild: Zarina Bhimji – Foto © Daniella Baptista, 2020
Der Stiftungsrat der Roswitha Haftmann-Stiftung gab heute bekannt, dass der mit CHF 150’000 dotierte Roswitha Haftmann-Preis 2024 an die im Vereinigten Königreich lebende und in Uganda geborene Fotografin, Film- und Installationskünstlerin Zarina Bhimji vergeben wird.
Die Auszeichnung geht auf die Initiative von Roswitha Haftmann (1924–1998) zurück. Seit 2001 vergibt ihre Stiftung den Preis an «lebende Künstlerinnen und Künstler, deren Werk von überragender Bedeutung ist», wie die Stiftung schreibt. Roswitha Haftmann war Galeristin und Sprachlehrerin. Sie arbeitete als Fotomodell für amerikanische Agenturen und war mit dem Kunsthistoriker Werner Haftmann verheiratet. In Zürich führte sie bis zu ihrem Tod 1998 eine Galerie. Die gebürtige Sankt Gallerin hat ihr nicht unbeträchtliches Vermögen in einen Fonds umgewandelt, aus dem sich der Roswitha Haftmann-Preis speist.
Zarina Bhimji – Fotografie, Film und Installation
Bhimjis vielschichtiges Werk ist sowohl ästhetisch und konzeptuell als auch aus gesellschaftskritischer Perspektive relevant. Sie gehört zu den «leisen» Kunstschaffenden. Ihr kraftvolles Werk, das ohne Text oder spektakuläre Aktionen auskommt, erforscht den Zustand dieser Erde. Bhimji reist häufig. Zu Forschungszwecken richtet sie vorübergehend Freiluftateliers in Ostafrika, dem Vereinigten Königreich und Indien ein, bevor sie ein Werk in ihrem ständigen Atelier zusammenstellt.
Sie entscheidet sich für Nuancen und Komplexität, visuelle Poesie und Abstraktion und eine gewissen elegischen Unterton, wobei sie eher auf Affekte als auf Effekte setzt. Selbst wenn sie sich mit den Auswirkungen politischer Umstürze, der Geschichte von Besatzung, Invasion und Unterschiedlichkeit auseinandersetzt, sind ihre Werke nicht als spezifisch für einen konkreten Zeitraum, genauen Ort oder eine bestimmte Region zu verstehen. Ihr Ansatz ist universell. Gleichheit, Schönheit und Liebe sind die wesentlichen Punkte, die sie anspricht.
Bhimjis Filme werden nicht durch die Entwicklung einer Handlung vorangetrieben, sondern durch eine Überlagerung von malerischen Bildern und Klangkompositionen, die uns die (verlassenen) Landschaften, die oft im Vordergrund stehen, als dichte Wandteppiche der kollektiven und individuellen Erinnerung lesen lassen. In ihrem Werk verschmilzt Schönheit mit Politik und Poesie, und es zeichnet sich durch einen bewussten Einsatz von visueller Mehrdeutigkeit aus.
Die Arbeiten reflektieren Räume, Mikrodetails und das Licht entfernter Innenräume. Die Lichtquelle ist ein wichtiges und komplexes Element in Bhimjis Komposition. Die Räume, die in ihrem Werk im Mittelpunkt stehen, verweisen auf Unverbundenheit, Unvollständigkeit und Unzeitgemässheit.
Bhimji verzichtet auf präzise Informationen und sachliche Darstellungen, um die ästhetischen Qualitäten und das poetische Potenzial eines jeden Bildes hervorzuheben. Die Künstlerin selbst sagt: «In meiner Arbeit geht es nicht um die eigentlichen Fakten, sondern um das
Echo, das sie erzeugen, die Zeichen, die Gesten und den Klang.»
«Leben, Kunst, Politik und Geschichte verbinden sich»
Das aussergewöhnliche Schaffen dieser bislang unter dem Radar des internationalen Kunsthandels segelnden, gestandenen Künstlerin ist es, das die Jury dazu bewogen hat, ihr Europas höchstdotierten Kunstpreis zu verleihen. «Zarina Bhimji versteht es, mit ihren unausgesprochen empathischen und ästhetisch faszinierenden Fotografien und Filmen ein Publikum emotional zu involvieren und nachdenklich zu stimmen», so Thomas Wagner, Stiftungsrat der Roswitha Haftmann-Stiftung: «In Zarina Bhimjis Werk, das heute aktueller erscheint denn je, verbinden sich auf unverwechselbare Weise Leben, Kunst, Politik und Geschichte, ohne sich gegenseitig zu verraten. Die ruhig dahinfliessenden Bilder der Filme Bhimjis offenbaren das Gift, das in den romantisch verklärten Landschaften ebenso vergraben liegt wie in den nationalen Geschichtsbüchern.»
Lebenslauf und Ausstellungshistorie
Zarina Bhimji wurde 1963 als Tochter indischer Eltern in Uganda geboren, floh aber im Alter von elf Jahren nach Grossbritannien, als General Idi Amin 80’000 AsiatInnen gewaltsam vertrieb. Dort studierte sie am Polytechnikum in Leicester, am Goldsmiths’ College, wo sie ihren Bachelor of Arts erwarb, und an der Slade School of Fine Art (University College London), die sie mit einem höheren Diplom in Bildender Kunst abschloss.
Ihre erste Einzelausstellung fand 1989 im Tom Allen Community Arts Centre London statt. 2001 lud die Talwar Gallery sie nach New York für eine Einzelausstellung ein. Seither folgten weitere Präsentationen in Europa und den USA sowie 2020 in den Vereinigten Arabischen Emiraten (Sharjah Art Foundation, Sharjah).
In der Schweiz wurden Bhimjis Werke erstmals 2006 von der Galerie Haunch of Venison (Zürich) und 2012 vom Kunstmuseum Bern gezeigt. Rund um den Globus – u.a. in Deutschland, Finnland, den Niederlanden, Schweden, Frankreich, China, Pakistan und Russland – waren ihre Werke in Gruppenausstellungen zu sehen. Und an renommierten Kunstschauen wie der Documenta 11 in Kassel (2002), beim Turner Prize (2007) und der 29. Biennale von Sao Paulo (2010).
Insbesondere britische Institutionen nahmen Bhimjis Fotografien und Filme in ihre Sammlungen auf – so die Tate und das Victoria and Albert Museum in London, aber auch das Moderna Museet in Stockholm und die Kadist Art Foundation in Paris sowie in den USA das Wadsworth Atheneum Museum of Art in Hartford oder das Museum of Contemporary Art Chicago.
Die letzten grossen Ankäufe wurden von der Sharjah Art Foundation getätigt.
Zarina Bhimji teilte ihr Wissen bis Ende der 1990er-Jahre als Dozentin am London College of Printing im Bereich Fotografie und als Beraterin für diverse höhere Schulen, Galerien oder Stiftungen. Sie lebt und arbeitet in London.
Preisverleihung am 29. November 2024 im Kunsthaus Zürich
Wer den Preis erhält, wird vom Stiftungsrat bestimmt. Ihm gehören satzungsgemäss die Direktorinnen und Direktoren des Kunstmuseums Bern (Nina Zimmer), des Kunstmuseums Basel (Elena Filipovic / Josef Helfenstein), des Museum Ludwig in Köln (Yilmaz Dziewior), unter dem Vorsitz der Direktion des Kunsthaus Zürich (Ann Demeester) an. Hinzu kommen Mitglieder, die vom Stiftungsrat berufen werden, wie der Journalist und Kunstkritiker Thomas Wagner, der die Laudatio auf die diesjährige Preisträgerin halten wird, Karola Kraus (Direktorin Museum Moderne Kunst Stiftung Ludwig Wien) und Bernhart Schwenk (Kurator Gegenwartskunst, Pinakothek der Moderne, München).
Das Preisgeld kann von der Preisträgerin frei verwendet werden – beispielsweise für neue künstlerische Aktivitäten oder die Dokumentation und Sicherung von Inventar oder Atelier. Es sind, ausser der persönlichen Entgegennahme des Preises am Festakt, keine weiteren Verpflichtungen damit verbunden. Die Übergabe an Zarina Bhimji ist für den 29. November 2024 im Kunsthaus Zürich geplant.
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Kontakt:
www.roswithahaftmann-stiftung.com
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Kommentare von Daniel Leutenegger