12. Februar 2022
«RENÉ MYRHA. UN UNIVERS SINGULIER»
Ausstellung im Kunstmuseum Thun, bis am 1. Mai 2022

Bild: René Myrha, Porte 5.4.72 – 5.72, 1972. © 2021, ProLitteris, Zürich. Foto Christian Helmle
Mit der Ausstellung von René Myrha (geboren 1939 in Delémont, lebt und arbeitet in Les Breuleux) knüpft das Kunstmuseum Thun an einen seiner Sammlungsschwerpunkte an: die Schweizer Pop Art. Ausgehend von der damals aufkommenden Kunstströmung entfaltet Myrha seit den frühen 1960er-Jahren sein einzigartiges künstlerisches Universum, welches in der Ausstellung umfassend präsentiert wird. Retrospektiv angelegt, bietet die Schau einen Überblick über die wesentlichen Entwicklungsschritte in Myrhas Schaffen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf der Verbindung der Gemälde und Grafiken mit den räumlichen Objekten, die zu den weniger bekannten Werkgruppen des Künstlers gehören. Abgerundet wird die Ausstellung mit einer Reihe von neuen, bislang nie gezeigten Arbeiten.
Die Tür zum Universum
An der Kunstgewerbeschule in Biel zum Grafiker ausgebildet, machte sich der junge René Pagnard – wie viele KünstlerInnen seiner Generation – Ende der 1950er-Jahre auf nach Paris, später nach Milano. In Paris, wo seine Schwester in der Rue Myrha lebte, fand er nicht nur seinen Künstlernamen, sondern er kam auch erstmals mit der aus den USA und Grossbritannien nach Kontinentaleuropa schwappenden Kunstströmung der Pop Art in Berührung. Beflügelt vom Lebensgefühl des Wirtschaftswunders und des technischen Fortschritts orientierte sich nun auch die Kunst an einer Ästhetik, die durch Flächigkeit und Intensität der Farbe sowie eine aus Werbung und Magazinen vertraute figurative Bildsprache die breite Gesellschaft zu erreichen suchte.
In Myrhas Werken aus den späten 1960er-Jahren öffnen sich gemalte Fenster und Türen in eine bunte Welt. Die Werkgruppe der «Portes» (1969–73) – einige dieser Arbeiten gehören zur Sammlung des Kunstmuseums Thun – bildet den Auftakt der Ausstellung und öffnet den Blick auf stilisierte Landschaften mit Elementen aus Natur und Architektur und Design – Myrhas Universum.
Mit den sogenannten «Art-Moires» aus derselben Zeit vertieft der Künstler das Thema buchstäblich um eine zusätzliche Ebene: Das Bild wird räumlich; es ist sowohl zweidimensionale, bunte Komposition, als auch monochrome, reliefartige Topografie. Der Titel dieser Objektgruppe leitet sich von den französischen Begriffen für Kunst (art) und Schrank (armoire) ab.
Zwischen Bild und Raum
Die Auseinandersetzung mit Räumlichkeit, verschiedenen Bild- und Wirklichkeitsebenen zieht sich durch Myrhas gesamtes Œuvre. Während sich sein Künstlerfreund Rémy Zaugg (1943–2005) der Bildfrage mit mittels Sprache und den Strategien der Konzeptkunst näherte, beschreitet Myrha andere Wege. Durch eine ausgeprägte Zentralperspektive entwickeln auch seine zweidimensionalen Werke eine starke räumliche Qualität. In Reliefs und dreidimensionalen Objekten staffelt und spiegelt Myrha Räume und Szenen kulissenartig. Er bevölkert diese surreal wirkenden Bühnenbilder mit eigenwilligem Personal, welches die unterschiedlichen Bildebenen durchschreiten und verbinden kann.
In der Ausstellung lässt sich nachvollziehen, dass Figuren und rätselhafte Erzählungen in Myrhas späteren Werken eine immer wesentlichere Rolle spielen. Die Frage nach dem Stellenwert des Bildraumes lässt ihn aber dennoch nicht los, wie etwa in den Gemälden «Atelier III» (1997) und «Kuriositäten VII» (2015) erkennbar.
Weltbezug
Auch in seinen narrativen Werken geht es dem Künstler nicht um ein exaktes Abbild der Wirklichkeit. «Ich habe keinen Hang zum Hyperrealismus, ich möchte mich eher mit Poesie und Vorstellungskraft ausdrücken,» so Myrha. Der Bezug zur Welt (eine neuere Werkgruppe titelt «Rapport au monde») ist dennoch stets vorhanden. Myrha richtet sein Augenmerk auf bestimmte Aspekte des gesellschaftlichen Lebens oder der kulturellen Gemeinschaft. So wird etwa auch der Lockdown in der Corona-Zeit thematisch eingebunden und nicht zuletzt nimmt der Künstler die museale Institution ins Visier. In seinem monumentalen Gemälde «Scène du monde, le musée imaginaire IV» (2002) stellt Myrha das Museum als Bühne surreal durch den Raum schwebender Betrachter dar, deren komplexes Blickverhältnis die Frage aufwirft, wer hier wen beobachtet.
In der Ausstellung erhalten Myrhas räumliche Objekte ihrerseits eine Bühne: Auf einem monumentalen Tisch werden sie panoramaartig inszeniert und können so als Szenen eines einzigen, grossen Welttheaters gelesen werden.
kmt
Kontakt:
https://kunstmuseumthun.ch/de/
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Publikation
Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag der umfassende Katalog «René Myrha. A Singular Universe», mit einem Vorwort von Helen Hirsch, Direktorin Kunstmuseum Thun, und Texten von Rose-Marie Pagnard und Isabel Zürcher. Grafische Gestaltung: Bonsma& Reist, Bern/Bruxelles. 21 × 28 cm, 120 Seiten, Hardcover, ca. 64 Abbildungen, 2022
ISBN 978-3-7774-3899-3, De/En/Fr
www.hirmerverlag.de
Kommentare von Daniel Leutenegger