12. März 2010
20. Bad Bonn Kilbi bei Düdingen
Zum zwanzigsten Mal bereits beweist das beim freiburgischen Düdingen liegende Bad Bonn mit seiner Kilbi vom 27. - 29. Mai 2010, dass es bei Publikum, Fachleuten und Künstlern zu Recht den Titel des bestbekannten Geheimtipps für aktuelle Musik trägt.


Daniel Fontana schreibt:
Die zwanzigste Bad Bonn Kilbi. Bewusst in Buchstaben ausgeschrieben, so verliert die Jubiläumsausgabe das Furchterregende.
Erinnerungsfeier sagt man auch, aber uns ist es egal, wann und wie wir angefangen haben. Auf dem Logo in Form von Strichen dargestellt, erinnern uns die Jahre an die jassenden und beliebt uninteressierten Gäste an den Konzerten oder an den bekannten Zettel beim Eingang, wo die Anzahl der Gartenzäune der Statistik dienen.
Gerüchten zum Trotz wird auch dieses Jahr alles beim Alten bleiben. Zur selben Zeit das selbe Zelt auf gleich grossem Gelände, ein Zeltplatz unweit der Bühne, ein umweltfreundliches Bechersystem – und der Sandstrand am Schiffenensee hat trotz Klimawandel das Niveau gehalten und gewährt den majestätischen Blick auf die gegenüberliegenden Schlösser. Bands, von denen man noch nie gehört hat, Mitglieder von bekannteren Acts, die ihre neuen Projekte präsentieren, manches hip und anderes edel, und eine erwähnenswerte Überraschung im kulinarischen Bereich, die fast GaultMillau-Niveau erreicht.
Versteckspiel:
Geoff Barrow, oder Mister Portishead himself, kommt mit hypnotisch-psychedelischer Elektronik, sich wiederholenden Bassläufen und fiependen Synthie- und Orgelspuren und nennt seine neue Band BEAK>. Ist das nicht die Musik zum Film…? Ein postapokalyptischer Streifen müsste es sein, aber es gibt ihn noch nicht. Eine der wenigen Shows extra für die Kilbibesucher.
Die deutschen Krautrocker Neu! waren der grösste Einfluss für Radiohead, Brian Eno oder David Bowie. Deren Gründer und einziges überlebendes Mitglied Michael Rother, er gehörte ebenfalls zur Urformation von Kraftwerk, wird sich mit dem Sonic Youth-Schlagzeuger Steve Shelley und Aaron Mullan (Tall Firs) als Weltpremiere durch die ganze Geschichte von Neu! spielen. Stücke, die live überhaupt noch nie zu hören waren.
Atlas Sound ist die Musik aus dem Schlafzimmer von Hell Seher Bradford Cox. Seine Hauptbeschäftigung ist die Band Deerhunter. Und jetzt kommt er mit seinem Wohlfühlding. Gut so, oder?
Und Stephen O’Malley, einer der Drone-Stars Sunn O))), erfüllt sich und Maja Ratkje einen Wunsch. Ob die Norwegerin die scheinbar unüberwindlichen Lärmwände von Stephen O’Malley mit ihrer begnadeten Operettenstimme oder mit gefürchtetem Noise durchbricht?
Grosse:
Hot Chip, vor zwei Jahren als Geheimtipp von DFA Records für eine Kilbi Show im Gespräch, jetzt die Megaband des Electro-Pop, und sie kommen! Mit einem Riesenhit! Den kann man im Repeat-Modus laufen lassen!
Tocotronic, die kennt man, sehr lange schon. Auch ihre Texte. Endlich zu Gast, mit einem grossartigen Album, verzerrter denn je zuvor, und immer noch schrei(b)en sie aus unserem Innersten. Vernunft ist nicht emotional, dann vergesst sie mal!
Das Sun Ra Arkestra, diesen Namen kennt man auch, aber gesehen haben sie die wenigsten. Auch nach dem Tod von Sun Ra, einer der interessantesten Figuren der Musikgeschichte, Wegbereiter des Free Jazz, spielt die Arche, oder das Orchester aus Philadelphia unter der Leitung des Saxophonisten Marshall Allen grossartige Konzerte. Medizin für deinen Alptraum?
Und dann haben uns in letzter Minute auch noch die weltumspannenden und kategoriensprengenden Poprevolutionäre von Yeasayer ja gesagt – ob ihr Auftritt wohl so viele Diskussionen auslöst wie ihr letztes Album?
Sonst:
Neon Indian bringen die Sommerhitze und lösen den Hype-Alarm aus! Sie und ihr Electro-Lo-Fi Pop kommen aus Brooklyn. Mal hören und hoffentlich nicht vergessen. HEALTH, The Antlers, A Place To Bury Strangers, Polvo oder Wolf Parade. Lauter vielversprechende, von der Presse hochgejubelte und zu entdeckende Bands. Alles deutet auf ein zufriedenes Wochenende für Musikfans. Mit einer Prise Lock’n’Loll aus der Crazyabteilung Japaniens wird der Spass noch grösser. Keine Panik, rotgrün pyjamierte und umherrennende Wilde gehören zu den Bands.
Strom:
Während der Isländer Ben Frost seiner Gitarre den elektronischen Nacken streichelt, lässt Kode9 aka Burial, eine der wichtigsten Figuren des UK Hardcore-Kontinuums, die gedubbten Bässe wirken.
Schweiz:
Junge und gut gealterte Grössen: Solange La Frange, ein Electrofeuerwerk mit neuem Album. Mit voller Wucht lassen wir sie zuerst live, dann mit DJ Set auf die Leute los! Das selbe tun zu Beginn The Young Gods im Duell oder Zusammenspiel mit einer der international bekanntesten Schweizer Formationen: Koch-Schütz-Studer. Da ist von arabischer Folklore über Free Jazz und hippiesken Industrialballaden alles möglich. Und der Bit-Tuner fährt die Hot Chip ins Düstere.
Wir empfehlen zwei bis drei Nachmittage Myspace, aber auch unvorbereitetes Eintauchen zeigt seine Wirkung. Die Musik soll tanzen in den Ohren, und sowohl die Stille als auch der Lärm aus den Verstärkern werden für Schwindel erregende Verzerrungen der Perspektiven sorgen.
Einen grauen, vollmondbeleuchteten Teppich aus Staub zu einer riesigen Menge Musik wünschen wir!
Daniel Fontana, Tonverein Bad Bonn
Kontakt:
Kommentare von Daniel Leutenegger