17. November 2020
KUNST UND KANONEN: ZUR ENTSTEHUNG DER SAMMLUNG EMIL BÜHRLE
Wie Emil Bührle der Aufstieg zum Unternehmer, internationalen Kunstsammler und zur Persönlichkeit der Zürcher Elite gelang, zeigt eine neue Studie von Professor Matthieu Leimgruber (Universität Zürich) im Auftrag von Stadt und Kanton Zürich. Erstmals werden dabei die Verflechtungen und Wechselwirkungen von Waffen, Geld und Kunst gemeinsam untersucht.

Bild oben: Matthieu Leimgruber – Foto: © https://www.fsw.uzh.ch/de/personenaz/lehrstuhlleimgruber/leimgruber.html
Im Jahr 2021 wird der David-Chipperfield-Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses eröffnet, in dem Werke der Sammlung E.G. Bührle gezeigt werden. Der Unternehmer, Kunstsammler und Mäzen Emil Bührle (1890-1956) ist bis heute umstritten. Stadt und Kanton Zürich haben darum Matthieu Leimgruber, Professor für Geschichte der Neuzeit und Schweizer Geschichte der Universität Zürich, beauftragt, die Entstehung der Sammlung zu untersuchen. Dabei soll dargestellt werden, welche Verbindungen, Interessenkonvergenzen und Interessenkonflikte zwischen Wirtschaft, Politik und Kunstmarkt vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg herrschten.
Der nun vorliegende Forschungsbericht «Kriegsgeschäfte, Kapital und Kunsthaus – Die Entstehung der Sammlung Bührle im historischen Kontext» zeigt in drei Teilen den parallelen Aufstieg Bührles als Rüstungsunternehmer, als gesellschaftlicher Netzwerker sowie Kunstsammler und Mäzen.
Der Unternehmer: Von der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon zu Oerlikon-Bührle
Emil Bührle kam 1924 aus Magdeburg nach Zürich, um die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (WO) zu reorganisieren. Aus dem KMU (1923: 140 Mitarbeiter) machte er in den nächsten Jahrzehnten das grösste Schweizer Rüstungsunternehmen: die Oerlikon-Bührle-Gruppe (1956: 6’000 Mitarbeiter).
In der Zwischenkriegszeit war die WO Teil der verdeckten deutschen Aufrüstungskampagne und konzentrierte sich auf die Entwicklung und den Export von 20mm-Flugabwehrkanonen. Im Krieg verkaufte die WO Kanonen zunächst auch noch an die Alliierten (für rund 60 Millionen Franken) und nach der Niederlage Frankreichs nur noch an NS-Deutschland und die Achsenmächte (für etwa 540 Millionen Franken).
Während des Zweiten Weltkrieges bauten auch die USA und Grossbritannien über 185’000 «Oerlikon Guns» in Lizenz, zahlten der als feindlich geltenden Firma jedoch keine Lizenzzahlungen. Dagegen erhielt Bührle aus seiner Beteiligung an einer deutschen Rüstungsfirma, den IKARIA-Werken, die während des Krieges Zwangsarbeiterinnen einsetzte, Lizenzzahlungen von rund 0,87 Millionen Franken.
Sobald sich die Niederlage von NS-Deutschland abzeichnete, hielt sich Bührle wieder an die Alliierten. Bis zum Beginn des Koreakrieges im Juni 1950 konnte er die WO erfolgreich auf den Westblock, die Modernisierung der Schweizer Armee und die neu dekolonisierten Länder ausrichten.
1940 löste eine Reihe tödlicher Unfälle in den WO-Fabrikationshallen den grössten Kriegsstreik in der Schweiz aus. Während Bührle in der linken Presse als Kriegsgewinnler angeklagt wurde, lobten die bürgerlichen Stimmen seinen Unternehmergeist und Erfolg. Sein unternehmerisches Kalkül mehrte Bührles Vermögen von 8 Millionen Franken im Jahr 1938 auf 162 Millionen Franken im Jahr 1945. Es steht ausser Zweifel, dass ihn das Waffengeschäft mit Nazi-Deutschland zum reichsten Mann der Schweiz machte und die erste Grundlage für seine Kunstsammlung bildete.

Bild: Emil Bührle am Maschinengewehr (in: Werkmitteilungen der WO, Mai 1945, S. 18-22.)
Der Netzwerker: Anpassungsfähig, pragmatisch und opportunistisch
In nur einer Generation stieg Bührle vom unbekannten deutschen Prokuristen zum bedeutenden Kunstsammler, Mäzen und zu einer angesehenen Zürcher Persönlichkeit auf. «Dieser fulminante gesellschaftliche Aufstieg beruhte auf Bührles ungeheurem Reichtum, seiner Kunstsammlung und Kulturförderung sowie auf einer Kombination aus Anpassungsfähigkeit, Pragmatismus und gnadenlosem Opportunismus», erklärt Matthieu Leimgruber.
Als Teil der deutschen Aufrüstungsnetzwerke der Zwischenkriegszeit integrierte sich Bührle früh in rechtskonservative Schweizer Zirkel, die Verbindungen zu ähnlichen Milieus in Deutschland unterhielten. Nach dem Erhalt des Schweizer Bürgerrechts 1937 nutzte er seinen neuen Reichtum und erste Kunstkäufe, um sich Zugang zu ausgewählten Kreisen zu verschaffen. Im Juni 1940, als die WO ihre Waffenexporte auf NS-Deutschland ausrichtete, wurde Bührle in die Sammlungskommission und kurz darauf in den Vorstand der Zürcher Kunstgesellschaft (ZKG) eingeladen.
Mit Bankier und ZKG-Präsident Franz Meyer-Stünzi, einem prominenten Sprössling des «alten Zürichs», mit dem er pro-deutsche Affinitäten teilte, besiegelte der «Newcomer» Bührle eine starke Allianz, um das Kunsthaus Zürich voranzubringen.
Über sein Engagement als Kunstsammler und Kulturförderer unterhielt Bührle ausgezeichnete Beziehungen zu lokalen und nationalen Behörden sowie zu internationalen Kreisen. Dabei überschnitten sich unternehmerische, gesellschaftliche und sammlerische Interessen: Reisen über den Atlantik, um WO-Pulverraketen zu verkaufen, ermöglichten ihm etwa Zugang zum Londoner und New Yorker Kunstmarkt.
In der Nachkriegszeit war Emil Bührle bestens in wirtschaftsliberale und antikommunistische Zirkel integriert. Er inszenierte sich gerne als Unternehmer «an vorderster Front dieses kalten Krieges», wie Bührle 1955 sagte.
Der Sammler: Waffenexporte ermöglichen Aufbau der Kunstsammlung
Ernsthaft Kunst zu kaufen begann Bührle 1936, als er dank der Ausweitung der Waffenexporte seine erste Million Franken besass. Damals war der europäische Kunstmarkt geprägt von der Wirtschaftskrise, den frühen Enteignungen und Rassenverfolgungen des NS-Regimes. Während der deutschen Besatzungszeit erstand Bührle 16 Werke auf dem Pariser Kunstmarkt, auf dem enteignete Kunst jüdischer Galeristen und Sammler gehandelt wurde. Von den 93 Werken, die er von 1941-45 ankaufte, galten 13 nach dem Krieg als «Raubkunst». Bührle sah sich mit mehreren Restitutionsprozessen konfrontiert und gab die entsprechenden Werke später an ihre rechtmässigen jüdischen Besitzer zurück. Neun Bilder konnte er schliesslich ein zweites Mal erwerben. Vom Antisemitismus kann man Bührle nicht reinwaschen, auch wenn die bisher erschlossenen Dokumente nur eine belastende Äusserung enthalten. Für Matthieu Leimgruber steht fest: «Beim Aufbau seiner Sammlung nutzte Bührle die Lage verfolgter und flüchtender Juden opportunistisch aus.»
Bührle präsidierte die Sammlungskommission der ZKG ab 1953. Er übernahm die Gesamtkosten von über 6 Millionen Franken für den 1958 eingeweihten Kunsthaus-Erweiterungsbau, verstarb aber noch vor der feierlichen Eröffnung. Bis zu seinem Tod 1956 hatte Bührle über 600 Kunstwerke für rund 39 Millionen Franken gekauft, darunter prestigeträchtige Gemälde des Impressionismus und der Moderne. «Ermöglicht wurde der Aufbau dieser Kunstsammlung von Weltrang durch den immensen Reichtum, den er vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg durch Waffenexporte angehäuft hatte», so Leimgruber.
1960 vermachten Bührles Erben der Stiftung Sammlung Emil Bührle 200 seiner Kunstwerke, die in einem Privatmuseum an der Zollikerstrasse in Zürich ausgestellt wurden. Ein halbes Jahrhundert später sollen diese Werke nun in den Kunsthaus-Erweiterungsbau einziehen und Zürich zu einem internationalen Zentrum für die Kunst des französischen Impressionismus machen. Diese Entwicklung ist laut Leimgruber der Höhepunkt der fast hundertjährigen Verflechtungen «zwischen Emil Bührles Kriegsgeschäften sowie dem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kapital, das er mobilisierte, um bis an die Spitze der Zürcher Elite und des Kunsthauses Zürich zu gelangen».

Bild: General Henri Guisan (links) 1953 zu Besuch bei der WO in Oerlikon (Bundesarchiv Bern J1.127#1000-1287#131: Besuch Guisan in Oerlikon, 11.12.1953.)
Externe Gutachten bescheinigen hohe Qualität
Die UZH hat zwei externe Gutachten zum Forschungsbericht veranlasst. Jakob Tanner, emeritierter Professor für Geschichte der Neuzeit, und Esther Tisa Francini, Historikerin und Leiterin Provenienzforschung im Museum Rietberg, haben eine noch nicht finale Version des Berichts begutachtet. Damit reagierte die UZH auf den – später auch medial verbreiteten – Vorwurf, Mitglieder des Steuerungsausschusses hätten versucht, den Berichtsinhalt zu beschönigen. Beide Gutachter kommen zum Schluss, dass der Forschungsbericht von hoher wissenschaftlicher Qualität ist, und der Best Practice der historischen Auftragsforschung folgt.
Allerdings problematisieren sie die Begleitung der Forschungsarbeit durch einen Steuerungsausschuss mit Vertretung der Auftraggeberinnen und der Stiftung Sammlung Bührle, der Kunstgesellschaft und des Kunsthauses. In diesem Zusammenhang empfehlen sie zwei Umformulierungen, die der Autor in einer früheren Entwurfsfassung auf Anregung eines Mitglieds des Steuerungssauschusses vorgenommen hatte, erneut abzuändern. Der Autor hat dies unter Einarbeitung von seither gefundenen zusätzlichen Quellen und zusätzlicher Literatur getan. Insgesamt halten die Gutachter Vorwürfe über Beschönigungen für haltlos.
Quelle:
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2020/Bührle.html
Interview mit Matthieu Leimgruber:
https://www.news.uzh.ch/de/articles/2020/kunst-und-kanonen.html
MEDIENSTIMMEN
Studie deckt auf, wie Emil Bührle seine Kunstsammlung finanzierte
Nach Anlaufschwierigkeiten und Vorwürfen an die Verfasser ist die Studie um Kunstsammler Emil Bührle nun publiziert.
matr/buhg
Die Bührle-Sammlung unter der Lupe – Was man wissen muss
Bevor 2021 der Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses mit der Kunstsammlung des Waffenfabrikanten Emil Bührle eröffnet wird, haben Stadt und Kanton eine Studie in Auftrag gegeben. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Ergebnissen der Untersuchung.
Ellinor Landmann
Fall Bührle: Eine gute Fehlerkultur sieht anders aus
Am Dienstag ist der Forschungsbericht über den umstrittenen Waffenfabrikanten, Kunstsammler und Mäzen Emil Bührle vorgestellt worden. Seine Entstehung verlief turbulent – und offenbarte ein grundlegendes Problem bei der Aufarbeitung brisanter Themen.
Marc Tribelhorn
Waffen, Geld und Kunst: Der umstrittene Bührle-Bericht ist da
Erstaunlich naiv
Stadt und Kanton haben bei der Aufarbeitung der Sammlungsgeschichte von Emil Bührle Fehler gemacht. Das könnte auch eine Chance sein.
Andreas Tobler
https://www.tagesanzeiger.ch/erstaunlich-naiv-622356303110
Bührle-Kunstsammlung mit Waffenexporten finanziert
Leimgrubers Fazit zum Zusammenhang zwischen Waffen und Kunst fällt deutlich aus: «Ermöglicht wurde der Aufbau dieser Kunstsammlung von Weltrang durch den immensen Reichtum, den Bührle vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg durch Waffenexporte angehäuft hatte.»
Keystone-SDA
https://www.swissinfo.ch/ger/buehrle-kunstsammlung-mit-waffenexporten-finanziert/46166376
Waffenexporte ermöglichten den Aufbau der Zürcher Bührle-Kunstsammlung
Eine neue Studie zeigt, wie sich der Unternehmer Emil Bührle mit Waffenexporten an Nazi-Deutschland seine Kunstsammlung und damit seinen Zugang zu den höchsten Zürcher Kreisen erkaufte.
agl
Krieg und Kunst – zwei Seiten einer Medaille
Ohne Waffenproduktion und Kriegsmaterialhandel gäbe es die Sammlung Bührle in Zürich nicht. Ohne Bührles Lebensziel, zur guten Zürcher Gesellschaft zu gehören, ebensowenig. Das ist bekannt, aber nun zur Eröffnung des Chipperfield-Neubaus, wo die Bührlesammlung ausgestellt wird, mit einem Forschungsbericht unterfüttert.
Eva Caflisch
https://seniorweb.ch/2020/11/17/krieg-und-kunst-zwei-seiten-einer-medaille/
Emil Georg Bührle war «ein gnadenloser Opportunist»
Die Studie zeichnet ein Bild von Bührle als gnadenlosen Opportunisten, was das Geschäft betrifft. So belieferte er mit seiner Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (WO) in den Zwischenkriegszeit zuerst Deutschland mit Flugabwehrkanonen.Während des Kriegs verkaufte er dann den Alliierten Kanonen für rund 60 Millionen Franken. Nach der Niederlage Frankreichs wurden Deutschland und die Achsenmächte für etwa 540 Millionen Franken beliefert.
https://www.nau.ch/news/schweiz/wie-waffenexporte-stiftung-sammlung-e-g-buhrle-reich-machte-65821338
Une étude confirme qu’Emil Bührle a créé sa collection grâce aux armes
Les exportations d’armes ont permis à Emil Bührle (1890-1956) de constituer sa collection d’art controversée. Deux cents de ses oeuvres seront exposées au Kunsthaus de Zurich, dès l’année prochaine.
Les ventes d’armes ont permis de créer la collection Bührle
La fortune personnelle d’Emil Bührle est passée de 8 millions de francs en 1938 à 162 millions en 1945. Il a vendu tant aux alliés qu’à l’Allemagne. Le Kunsthaus de Zurich expose bientôt sa collection.
Lo spietato opportunismo di Emil Bührle
È stato il commercio di armi a permettere ad Emil Bührle (1890-1956) di costituire la sua preziosa collezione d’arte.
Da Tintoretto a Modigliani, da Rembrandt a Picasso, passando per Cézanne, Van Gogh, Chagall… La collezione Bührle, che riunisce circa 200 opere, è una delle più prestigiose in Svizzera ed è considerata tra le più belle al mondo. Tuttavia, sul lascito dell’uomo d’affari di origine tedesca, arrivato in Svizzera nel 1924, è sempre aleggiato un alone di sospetto.
tvsvizzera.it/mar/ats
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Kommentare von Daniel Leutenegger