3. September 2025
MÜSSEN INTERVIEW-AUSSAGEN ÜBERPRÜFT WERDEN?
Auf knapp ein Drittel der Beschwerden tritt der Presserat nicht ein – weil sie zum Beispiel offensichtlich unbegründet sind oder vor Gericht ein Verfahren angestrengt wurde. Manchmal publiziert er aber trotz Nichteintretens-Entscheid eine Stellungnahme – wie jetzt gerade bei Stellungnahme 26/2025 und 27/2025. Susan Boos, Präsidentin des Schweizer Presserates, schreibt: «In beiden Fällen geht es um relevante Fragen, die im journalistischen Alltag immer wieder auftauchen: Die erste Frage lautet: Müssen Interview-Aussagen überprüft werden? Die zweite Frage: Erhebt man gegen Angestellte schwere Vorwürfe, reicht es dann, wenn einfach die Medienstelle der Firma respektive Behörde darauf antwortet?»

Zur ersten Frage hat die erste Kammer einige hilfreiche Grundsätze formuliert: Es muss möglich sein, pointierte Standpunkte, Meinungen und Sichtweisen abzubilden. Nur wenn «völlig unerwartete, heikle, ehr- respektive persönlichkeitsverletzende oder sehr umstrittene beziehungsweise offenkundig falsche Aussagen gemacht werden, muss aus der – ohnehin jederzeit erforderlichen – journalistischen Distanz nachgefragt werden, etwa auch nach allfälligen Quellen». Details finden sich in der Stellungnahme 27/2025.
Zur zweiten Frage: Die Beschwerde wurde von einem städtischen Angestellten eingereicht. Eine Zeitung erhob schwere Vorwürfe gegen ihn als Vorgesetzten. Der Journalist schickte der Medienstelle eine Liste mit den Kritikpunkten. Und diese beantwortete die Fragen. Reicht das? Spontan würde man sagen, ja. Heute hat jede Firma, jede Behörde, jeder Sportklub seine Medienverantwortlichen, die zu allem Auskunft geben und die eigenen Leute gegen aussen abschirmen – sehr zum Missfallen der JournalistInnen, weil sie von den Medienstellen oft dünne, unergiebige und nicht sonderlich kompetente Antworten erhalten.
Der Presserat trat nicht auf die Beschwerde des Angestellten ein, weil er auch juristisch gegen die Berichterstattung vorgegangen war. Trotzdem hat der Presserat eine Stellungnahme verfasst, um einen wichtigen Grundsatz in Erinnerung zu rufen: Falls gegen jemanden schwere Vorwürfe erhoben werden, reicht es nicht, ein offizielles Statement der Behörde oder Firma einzuholen. JournalistInnen müssen ernsthaft versuchen, die Betroffenen zu kontaktieren, weil es der Person gegenüber nichts als fair ist, ihr die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen. Oder wie es in der Stellungnahme 26/2025 heisst: «Journalisten, Journalistinnen müssen sich in einem derartigen Fall um eine Stellungnahme der direkt betroffenen Person bemühen, wohl wissend, dass dies in diversen Fällen vom Arbeitgeber nicht zugelassen wird. Wenn dem schliesslich so ist, wird man sich mit den Ausführungen der Firma oder der Amtsstelle bzw. Medienstelle begnügen, mit dem Hinweis, dass die betroffene Person nicht selber Auskunft geben durfte oder wollte.»
Quelle:
Nichteintreten auf Beschwerde gegen «Der Landbote»
Kritisierte Person haben grundsätzlich ein Recht, selber Stellung zu nehmen und nicht nur die Institution, in der sie tätig sind
3. September 2025
Der Presserat ist auf eine Beschwerde aus formalen Gründen nicht eingetreten, er hält aber grundsätzlich fest, dass eine Einzelperson, gegen die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit schwere Vorwürfe erhoben werden, ein eigenes Recht hat, Stellung zu nehmen.
Mehr:
https://presserat.ch/news_26_2025/
Nichteintreten auf Beschwerde gegen «CH Media»
Müssen Aussagen in Interviews überprüft werden?
3. September 2025
Die Zeitungen von «CH Media» veröffentlichten ein ausführliches Interview mit dem Klimaforscher Reto Knutti über Fragen von Extremwetterlagen, Klimaveränderung, darüber, ob hier Zusammenhänge bestünden und was sinnvollerweise vorzukehren sei. In einer Beschwerde wurde beanstandet, dass der Klimaforscher eine ganze Reihe von falschen oder unbelegten Behauptungen geäussert habe. Der Beschwerdeführer verlangte, dass diverse Passagen auf ihre Wissenschaftlichkeit überprüft und eventuell als Verstösse gegen die Wahrheitspflicht oder den Umgang mit Quellen zu rügen seien.
Der Presserat trat auf die Beschwerde nicht ein, insbesondere weil er wissenschaftliche Streitfragen weder beurteilen kann noch darf. Der Rat nahm im Zusammenhang mit dem Thema «Interview» aber eine Klärung vor.
Mehr:
https://presserat.ch/news_27_2025/
Beschwerde gegen «NZZ» teilweise gutgeheissen
Schwere Vorwürfe: Es braucht mehr als einen Link zur früheren Berichterstattung
3. September 2025
Die «Neue Zürcher Zeitung» («NZZ») hat den Zürcher Verein Zentralwäscherei als «Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten» bezeichnet – gemäss Praxis des Presserats ein schwerer Vorwurf. Dagegen ging eine Beschwerde des Vereins ein. Die «NZZ» hatte schon früher kritisch über den Verein berichtet. Beim besagten Artikel ist aber unklar, worauf sich der Vorwurf bezieht, weil die «NZZ» ihre früher publizierte, differenziertere Darstellung der Zentralwäscherei nicht berücksichtigt hat.
Der Presserat hält in seinem Entscheid fest, dass die relevanten Fakten, die einen schweren Vorwurf belegen, im jeweiligen Beitrag selber – mindestens kurz und knapp – erwähnt werden müssen. Ein Link in der Online-Version des Artikels reicht als Faktenbeleg ebenfalls nicht aus, weil man nicht davon ausgehen kann, dass Onlineleser und -leserinnen den Link auch anklicken. Zudem müsste der relevanteste und aktuellste Beitrag zum Thema verlinkt werden. Der Presserat hat die Beschwerde teilweise gutgeheissen.
Mehr:
https://presserat.ch/news_28_2025/
Auf der Website des Presserats sind weitere Stellungnahmen veröffentlicht worden:
Weitere Entscheide
- AVSL c. «20 Minutes» (Abweisung)
- X. c. «Neue Zürcher Zeitung» (teilweise Gutheissung)
- X. c. «Aargauer Zeitung» (Abweisung)
- «tio.ch / 20minuti.ch» c. Dipartimento della sanità e della socialità del Canton Ticino (Abweisung)
- X. c. «nau.ch» (teilweise Gutheissung)
- X. c. «Südostschweiz» (Abweisung)
Mehr / Kontakt:
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Kommentare von Daniel Leutenegger