29. Juli 2021
«EMILIJA ŠKARNULYTĖ – SUNKEN CITIES»
Ausstellung im Kunsthaus Pasquart Biel-Bienne, bis am 29. August 2021

Bild: Emilija Škarnulytė, Sunken Cities, 2021, film; Courtesy the artist
Emilija Škarnulytė (*1987, Vilnius, Litauen) ist bildende Künstlerin und Filmemacherin. Sie erforscht die psychologische Kraft, welche unsere Umwelt auf uns ausübt. Ihre Videos und Multimedia-Installationen, die Fiktion mit Dokumentarfilmen verflechten, reflektieren die unsichtbaren Beziehungen zwischen der physischen Welt und unserem sozialen Vorstellungsvermögen – von der Wahrnehmung der geologischen Zeit und ihrem Einfluss auf unser Verhältnis zur Geschichte bis hin zur Art und Weise, wie sich gewaltsame Konflikte in die Struktur der Erde einschreiben.
Für die Ausstellung im Kunsthaus Pasquart schafft sie eine immersive Video-Sound-Landschaft, die sich über alle Räume des Neubaus erstreckt. In den Altbauräumen wird die Karriere der Künstlerin mit neuen Produktionen und bestehenden Werken reflektiert, die verschiedene Narrative, Materialien und Techniken untersuchen. Neben Videoarbeiten werden Objekte, Fotografien und Mosaik gezeigt.
In Škarnulytės Filmen der letzten Jahre tauchen oftmals Orte auf, an denen zeitgenössische politische Themen verhandelt werden, die zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Welten schwanken und welche die Grenzen zwischen geologischen, ökologischen und kosmischen Kräften verwischen.
Sie berührt grundlegende Problematiken unserer historischen Periode; den Klimawandel und die Zukunft unserer Spezies. Diesen begegnet sie mit dem filmischen Abtasten vielfältiger Narrative, die zugleich offenbleiben und doch miteinander verschmelzen. Die Künstlerin begibt sich auf Wahrheitssuche und zeigt uns eine Anthologie, die sich aus verschiedenen Geschichten zusammensetzt. Škarnulytės poetische Inszenierungen hinterlassen ein Gefühl kontemplativer Beklemmung, hervorgerufen durch die Begegnung mit allem, was grösser ist als wir, grösser als das Leben – eine drohende Klimakatastrophe, Naturphänomene, ideologische Konstruktionen, gigantische wissenschaftliche (Infra)Strukturen und menschliches Wissen, die unauslöschliche Einschreibungen und Narben auf dem Planeten hinterlassen.
In den Galerien kreiert Emilija Škarnulytė mit Sunken Cities (2021) eine immersive Filmumgebung, wobei die verschiedenen Räume als Zeitlinie funktionieren. Sie schafft den Effekt des völligen Eintauchens in eine mehrdimensionale Landschaft, in der sich unser Blick durch die verspiegelten Decken verdoppelt und wir gleichzeitig ZeugIn einer zukünftigen, gegenwärtigen und vergangenen Welt werden. Die Künstlerin öffnet die Perspektive mit dieser schwarzen, reflektierenden Oberfläche und lässt sie uns als visuellen Horizont erleben, der wirkt wie ein Ozean aus flüssigem Öl. Eine dünne Linie über und unter Wasser, die das Reale und das Quantum trennt. Innerhalb dieser algiden und menschenleeren Landschaften taucht die uralte mythologische Figur der Sirene auf.
Roger Penrose, einer der bekanntesten theoretischen Physiker unserer Zeit, hat in einer seiner interdisziplinären Schriften die Meerjungfrau als Repräsentantin der Magie und des Mysteriums der Quantenmechanik beschrieben. Sie existiert wie Wasser in verschiedenen Aggregatzuständen, bestehend aus Molekülen, die sich verändern und ausdehnen. Sie ist vielgestaltig; ist menschlich und gleichzeitig Fisch, ist ein Cyborg, ist eine Maschine.
Škarnulytė begegnet diesen von Mythen umwobenen stillgelegten technologischen Strukturen und verlassenen, von Zerfall gezeichneten Orten mit dieser symbolträchtigen Figur als Gegenmythos. Die Meerjungfrau tritt hier als Vermittlerin zwischen Natur und Technik auf, zwischen menschlich und non-humanoiden Geschöpfen. Sie erweckt den Eindruck, dass sie aus der Zukunft auf den Planeten zurückgekehrt ist, um diese versunkenen Städte und technologischen Ruinen zu erkunden. Es ist ein retro-futuristischer Blick auf unseren Planeten, eine Perspektive aus einer Zeit, in der die Menschen bereits ausgestorben sind und die Natur die Macht übernommen hat. Oder wie Škarnulytė es ausdrückt: «die Ruinen der menschlichen Aktivität aus einer fernen Zukunft gesehen».
Im zweiten Teil der Ausstellung zeigt Emilija Škarnulytė Filme, die singuläre Momente in Zeit und Raum untersuchen. Mit Mythologien im Sinne, führt uns Skarnulyte an den Rand sich bekriegender Zivilisationen, unter die Nordlichter in der Nähe des Magnetpols, in Atomkraftwerke und mystische Wüsten, wo Raumfahrer in schillernden Gewändern Saxophon spielen und utopische geschwungene Raumschiffe basteln. Sie beobachtet ihre von der Kernschmelze erblindete Grossmutter dabei, wie sie mit den Händen die Oberflächen der Denkmäler des untergegangenen sowjetischen Imperiums abtastet, das die Blindheit verursacht hat, und prospektiert in ihrem Duo New Mineral Collective mit ihrer Weggefährtin Tanya Busse das Vergnügen als Revolte gegen Extraktivismus.
cp
Kuratorin:
Stefanie Gschwend, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Kunsthaus Pasquart
Kontakt:
https://www.pasquart.ch/event/emilija-skarnulyte/
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Kommentare von Daniel Leutenegger